Hier aber kommt der Vergleich an seine Grenzen, denn für Bosch nehmen an diesem Rennen 403 000 Mitarbeiter teil, die im vergangenen Jahr gemeinsam fast 80 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet haben. Das Bild lässt dennoch ahnen, was für ein gewaltiger Balanceakt dafür nötig ist.
Bosch-Chef Volkmar Denner hat nicht zufällig den Begriff des „Balancehaltens“ als ein zentrales Leitmotiv gewählt, als er jetzt vor Journalisten die vorläufigen Geschäftszahlen für 2019 präsentierte. Zwar ist der Umsatz in etwa so hoch wie im Vorjahr, doch der operative Gewinn ist – vor allem aufgrund des schwächeren Autoabsatzes in China und Indien – schmerzhaft gesunken, auf aktuell rund drei Milliarden Euro. Die Balance zu halten gilt es angesichts eines laut Prognose 2020 weiter sinkenden und dann stagnierenden globalen Automarktes dabei in vielerlei Hinsicht.
Technologischer Umbruch fordert viel Ausgleichskraft
Balanceakt eins: der technologische Umbruch. Einerseits leidet die beschäftigungsintensive Dieselsparte des weltgrößten Automobilzulieferers, andererseits treibt Bosch alle Alternativen voran, ist Nummer eins bei Batterieauto-Komponenten auf dem Leitmarkt China und weit vorn bei Brennstoffzellen-Antrieben, die mit dem US-Hersteller Nikola 2002 für Lkw marktfähig sein sollen. Für die weitere Technologisierung des Fahrens ist man mit eigener Halbleiterproduktion und Forschung im Feld der künstlichen Intelligenz gerüstet. Doch die Geschäftsfelder müssen zu einem guten Teil erst noch erschlossen werden.
Balanceakt zwei: die Finanzierung. Einerseits gilt es, Kosten zu senken, um die Ertragskraft wieder zu steigern. Andererseits steigt der Investitionsbedarf für die neuen Technologien. Finanzvorstand Stefan Asenkerschbaumer verdeutlicht die Dimension der finanziellen Herausforderung, wenn er betont: Bosch müsse „als nicht börsennotiertes Unternehmen jeden Cent, den wir investieren, selbst verdienen“.
Dritter Balanceakt ist der für das Betriebsklima vermutlich wichtigste: die Motivation der eigenen Belegschaft. Dem Führungspersonal wurde für dieses Jahr bereits eine Nullrunde beim Gehalt verordnet. Die Geschäftsführung lässt keine Zweifel, dass man von den tariflich Beschäftigten ähnliche Genügsamkeit erwartet. An manchen Standorten werden Stellen abgebaut oder die Wochenarbeitszeit reduziert; zwar sozialverträglich, worauf Bosch stolz sein kann, aber doch schmerzhaft. Gleichzeitig gilt es, die Innovationskraft der Belegschaft zu fördern und sie für umfangreiche interne Schulungsmaßnahmen zu begeistern.
Klare Forderungen an die Politik
An internen Hausaufgaben mangelt es der Bosch-Geschäftsführung also nicht. Bemerkenswert offen formuliert der Vorstand aber auch Aufgaben für die Politik. Als wichtigste Herausforderung des Mobilitätswandels nennt Vorstandschef Denner den Punkt „emotionale Diskussionen“.
Wenn es um das Auto gehe, erlebe man zunehmend emotionale statt faktenorientierte Debatten. Die unterschiedlichen Interessenlagen in der Gesellschaft – Stichwort: urbaner und ländlicher Verkehr – würden nicht genügend gewürdigt. Und politische Vorgaben, die technisch nicht umsetzbar seien, „helfen weder dem Klima noch den Menschen“, sagt Denner.
Dahinter steht die Sorge, dass der von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigte Green New Deal die Unternehmen wie die Gesellschaft überfordern könnte und gleichzeitig die Komplexität des Klimaschutzes unterschlage. Statt einfach die CO2-Grenzwerte für Fahrzeugflotten zu verschärfen, müssten alle Antriebsarten von der Herstellung bis zum Betrieb auf ihre Klimabilanz bewertet werden. Auch müssten klimaneutral hergestellte Kraftstoffe für Verbrennermotoren, sogenannte E-Fuels, stärker gefördert und auf die CO2-Bilanz angerechnet werden.
Frage der intellektuellen Redlichkeit
Denners Forderung ist berechtigt. Anders als mancher Autohersteller muss sich Bosch nicht vorwerfen lassen, die Entwicklung von Batterieautos vernachlässigt zu haben. Sein Ruf nach Technologieoffenheit ist kein verkappter Vorwand fürs Nichtstun.
Wer dem Klima nachhaltig helfen will, muss ernsthaft alle Möglichkeiten prüfen, auch die bestehende weltweite Fahrzeugflotte „sauberer“ zu machen. Das ist nicht nur eine Frage der intellektuellen Redlichkeit. Wer öfter im Freundeskreis über Klimafragen diskutiert, weiß, dass diese Auffassung in hohem Maß konsensfähig ist.