Der griechische Tennisspieler Stefanos Tsitsipas ist der Star der Boss Open in Stuttgart – und gerade noch auf den Zug aufgesprungen.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Wenn Stefanos Tsitsipas den Raum betritt, dann geht die Sonne auf. Hochgewachsen, wilde Frisur, Kapuzenpulli, schrille Sporthose – so präsentiert er sich. Aber wo ist er gelandet? Es scheint für einen Moment, als habe sich da ein lebensfroher Surflehrer von der französischen Atlantikküste auf die beschauliche Tennisanlage des TC Weissenhof verirrt.

 

Dem ist nicht so – und Tsitsipas ist auch kein Franzose, sondern Grieche, außerdem seit Längerem einer der besten Tennisspieler des Planeten. Die Weltrangliste führt den lässigen Burschen auf Position vier, auch Dritter war er schon, vielleicht schafft er es irgendwann auf den Thron. Er ist für Späße zu haben, zeigt gern sein offenes Lächeln und bringt eine sympathische Frische mit. Man könnte ihn durchaus als Sonnyboy und Frauentyp bezeichnen – aber auch als ausgekochtes Schlitzohr. Sonst wären seine Tenniskollegen in der Vergangenheit nicht immer mal wieder an die Decke gegangen, weil er sie mit seinen extrem ausgedehnten Toilettenpausen während eines Matches aus dem Konzept brachte.

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Gerüchte, Stefanos Tsitsipas habe sich dort nur die Frisur gerichtet, müssen entkräftet werden, denn welcher Atlantiksurfer benutzt schon einen Kamm. In Stuttgart bei den Boss Open sind sie derweil über alle Maßen froh, dass ihnen im letzten Augenblick noch dieser bunte Vogel aus Athen zugeflogen ist, dem man selbstverständlich zügig eine Wildcard gegeben hat.

Ohne Tsitsipas wäre der beste Spieler des Turniers der Weltranglistenzehnte Matteo Berrettini aus Italien gewesen. So aber ist der Topmann der Veranstaltung die Nummer vier der Welt und eine Figur, die ausgestattet ist mit der Attitüde eines Stars und Publikumslieblings. Im Gesamtbild betrachtet ist Tsitsipas womöglich sogar etwas aufregender als seine Kollegen Rafael Nadal, Alexander Zverev oder Novak Djokovic.

Wildcards in der Schublade

Auf jeden Fall rettet er mit seinem Premierenauftritt in Stuttgart dem Turnierdirektor Edwin Weindorfer in gewisser Weise die Veranstaltung. „Letztes Jahr stand er in Paris im Finale, deshalb ist es schön, ihn heute hier zu haben“, sagt der Turnierchef und ist sichtbar im Glück, dass er in Stuttgart doch noch eine große Hausnummer präsentieren kann, ein echtes Zugpferd. Für Kurzentschlossene wie Tsitsipas hält Weindorfer bis vor Turnierstart immer noch zwei oder drei Wildcards in der Schublade zurück.

Nun sitzt der 23 Jahre alte Tennisspieler da, ist bester Dinge und heilfroh, dass er auch seine Eltern mit nach Stuttgart bringen durfte – und vor allem auch seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Petros. Mit ihm spielt Tsitsipas auch im Doppel. „Danke, dass ihr das möglich gemacht habt“, sagt er zu Weindorfer, der für das Brüderpaar eine weitere Wildcard für den Doppelwettbewerb lockermachte. „Das ist etwas ganz Besonderes, da wir nicht so oft die Möglichkeit haben, gemeinsam zu spielen“, sagt der ältere und erfolgreichere Bruder. Petros Tsitsipas ist die Nummer 772 der Welt und wartet noch auf seinen Durchbruch auf der Tour.

Der Wohlfühlfaktor

In Stuttgart fühlt sich die Familie derweil pudelwohl. „Ich habe mir vor dem Turnier die Stadt angeschaut, was ich normalerweise kaum tue“, sagt Stefanos Tsitsipas. Schön sei die Location. Was er gemacht hat? „Sie haben gutes Eis in der Stadt, und ich mag gute Eiscreme“, erzählt der Grieche, der sich auf der Shoppingtour auch ein paar nützliche Dinge besorgt hat. „Ich habe mir Unterwäsche gekauft“, sagt der Tennisspieler, der sich zudem einen Feuerlöscher zulegte – als wäre Stuttgart bekannt für die außerordentliche Qualität seiner Feuerlöscher. „Ich habe das Ding in einem Geschäft gesehen und mir gedacht, dass ich so etwas für den Notfall unbedingt brauche.“

Um den Sport geht es natürlich auch – nicht nur um einen gelungenen Kurzurlaub der Familie Tsitsipas im Schwäbischen. Der Weltranglistenvierte, der zuletzt bei den French Open schon im Achtelfinale die Segel streichen musste, möchte in Stuttgart seine eher bescheidene Bilanz auf Rasen verbessern. „In den vergangenen Jahren konnte ich auf Gras leider nicht das zeigen, was ich kann – und das möchte ich dieses Jahr ändern“, sagt der Last-Minute-Star der Boss Open, der am Donnerstag im Achtelfinale sein erstes Einzel gegen Dominic Stricker bestreitet.

Der ist 19 Jahre jung, die Nummer 177 der Welt und ein Talent aus der Schweiz, wo sie hoffen, dass aus ihm mal ein Großer wird. Noch ist es nicht soweit. Also könnte man von einer lösbaren Aufgabe für Tsitsipas sprechen, der sich wegen Stricker am Eisstand keineswegs zurückhalten muss.