Auch der irische Premier Simon Harris (rechts) peilt Neuwahlen an. Foto: dpa/Brian Lawless
Auch in Irland wird neu gewählt, aber viel schneller. Wirtschaftlich steht das Land gut da. Die neue Botschafterin Maeve Collins spricht über irische Rezepte gegen die Krise.
Michael Weißenborn
12.11.2024 - 16:11 Uhr
Irlands Premier Simon Harris stand ebenfalls einer eigentlich unmöglichen Dreierkoalition vor – aus den beiden konservativen Parteien Fine Gael und Fianna Fáil sowie den Grünen. In der vergangenen Woche löste Harris diese überraschend auf. Doch damit enden die Ähnlichkeiten zur politischen Lage in Deutschland auch schon. Denn auf der Grünen Insel geht der politische Neubeginn vergleichsweise geräuschlos und effizient über die Bühne: Schon Ende November wählt das 5,2-Millionen-Volk eine neue Regierung. Und einen Haushalt für 2025 hat das Land ebenfalls.
Dublin schwimmt im Geld
Auch sonst befindet sich Irland derzeit in einer beneidenswerten Lage: Während Politiker in Berlin, London oder Paris Milliardenlöcher im Haushalt stopfen müssen, schwimmt Dublin geradezu im Geld. Der US-Tech-Riese Apple muss laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu – inzwischen geschlossenen – Steuerschlupflöchern 14 Milliarden Euro zahlen. Doch auch ohne diesen Steuersegen gab es in den Vorjahren einen Haushaltsüberschuss. Im Jahr 2025 soll er 2,9 Prozent der Staatseinnahmen betragen– trotz höherer Staatsausgaben und Steuersenkungen.
Die neue irische Botschafterin Maeve Collins: „Unser Wohlstand und unsere Stabilität hängen von der EU ab.“ Foto: imago/dts Nachrichtenagentur
Die irische Wirtschaft steht gut da: 2024 wird ein Wirtschaftswachstum von 4,9 Prozent erwartet (2025: 2,7 Prozent). Die Arbeitslosenrate beläuft sich auf 4,3 Prozent, die Inflation liegt bei unter 2 Prozent.
Gekürzte Sozialausgaben und Steuererhöhungen
Die Lage war aber nicht immer so rosig, berichtet die neue irische Botschafterin Maeve Collins beim Redaktionsbesuch in Stuttgart. „In der Euro-Krise hat Irland harte Reformen umgesetzt“, berichtet sie mit Blick auf gekürzte Sozialleistungen und Steuererhöhungen nach dem Banken-Crash der 2010er Jahre. Irlands Rezept gegen die Krise: Entbürokratisierung, Digitalisierung, Investitionen in Bildung und das Werben um Investitionen. „Dabei war uns auch die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten wichtig“, betont die Top-Diplomatin mit reichlich Europa-Erfahrung. Sie ist die erste Frau auf dem Posten in Berlin.
Für Irland beginnt Außenpolitik mit Wirtschaftspolitik. Und der Handel mit Baden-Württemberg brummt, vor allem aus irischer Sicht: Der Südwesten importierte 2023 Waren für mehr als neun Milliarden Euro, insbesondere chemische und pharmazeutische Produkte. Umgekehrt kaufte Irland Waren für 1,4 Milliarden Euro – Maschinen, pharmazeutische Produkte und Fahrzeuge. Daher wolle ihr Land die Beziehungen zum Südwesten weiter ausbauen, sagt Collins.
Hoffen auf Berlin und Paris
Irland beherbergt viele der größten US-Tech-Firmen wie Google oder Microsoft. Nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU wurde das Land für US-Unternehmen als einziges englischsprachige Land im gemeinsamen Markt noch attraktiver. Nicht zuletzt wegen der niedrigen Steuern, die für Großfirmen 15 Prozent betragen (Deutschland: 30 Prozent). Das sei für Unternehmen natürlich attraktiv, räumt Collins ein. Was diese aber in Irland halte, seien gut ausgebildete Arbeitskräfte, der Zugang zum EU-Markt und relativ wenig Bürokratie.
Zur EU sieht das Land deshalb keine Alternative. „Unser Wohlstand und unsere Stabilität hängen davon ab“, so die Diplomatin. Vielleicht überraschend angesichts des Machtvakuums in Deutschland und Frankreich: Dublin setzt bei der Führung eines unabhängigen und starken Europas weiter auf die beiden größten Volkswirtschaften in der EU.
Große Ungewissheit durch Trump
Zum neugewählten US-Präsidenten Donald Trump wird die freundliche Irin schmallippig: Man werde mit Washington konstruktiv zusammenarbeiten, so ihre diplomatische Formel. Dahinter scheint aber die Ungewissheit auf, was angekündigte Zölle, ein daraus folgender Inflationsdruck oder die Senkung der US-Unternehmenssteuern für das irische Geschäftsmodell bedeuten.