Charlie Schultz betreibt die Boxbude Fight Club auf dem Cannstatter Wasen. Zusammen mit der Wahrsagerin steht Schultz für eine vom Aussterben bedrohte Art der Unterhaltung beim Volksfest. Zu Besuch bei einem großen Kämpfer.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Bei einem Text über Charlie Schultz geht immer das wichtigste Merkmal des Box-Veranstalters auf dem Wasen verloren: seine Reibeisenstimme. Diese Stimme klingt nach einer Mischung aus Schmiergelpapier in der Kehle und Whiskey im Abgang. Mit dieser Stimme haut Schultz die Anekdoten im selben Tempo raus, indem er früher als Berufsboxer in den 1970er Jahren die Gegner im Ring traktiert hat. Schultz war unter anderem südwestdeutscher Meister im Mittelgewicht. Höhepunkt seiner Karriere: ein Kampf im Vorprogramm von Muhammad Ali 1979 in Frankfurt.

 

Früher hat Charly Schultz selbst gekämpft, heute lässt er andere für sich kämpfen in seiner Boxbude Fight Club, mit der er derzeit auf dem Cannstatter Wasen gastiert. Zieht man zum letzten Wasen-Wochenende eine vorläufige Bilanz, steht Schultz schon jetzt als einer der Gewinner des 170. Cannstatter Volksfestes fest: Der 57-Jährige ist so etwas wie der heimliche Medienstar der diesjährigen Veranstaltung. Ob Spiegel online, SWR, Antenne 1, „Stuttgarter Nachrichten“ oder „Cannstatter Zeitung“, alle haben den ehemaligen Berufsboxer in Beiträgen gewürdigt.

Charlie Schultz steht für längst vergangene Zeiten

Das hat viele Gründe: Zum einen ist Charlie Schultz der letzte Vertreter einer aussterbenden Art von Attraktionen auf dem Volksfest, die es immer schwerer haben, zwischen all den blinkenden Fahrgeschäften und den lauten Bierzelten zu bestehen. Schultz steht für Nostalgie, für eine andere Art der Kirmes-Unterhaltung. „Die Menschen wollen auf dem Volksfest das Spektakel sehen, sie wollen Illusionskünstler erleben, die schwebende Jungfrau, die Frau ohne Kopf gibt es heute eben nicht mehr. Von dieser alten Garde sind nur die Wahrsagerin und ich übrig geblieben“, erklärt Schultz.

Mit seiner Biografie steht Schultz aber auch selbst für eine längst vergessene Zeit, als das Boxen noch mehr Sport und weniger Show war. Schultz stammt aus einer Schaustellerfamilie, sein Vater Karl-Heinz hat Bierzelte und Fahrgeschäfte betrieben, zuletzt reiste er mit einer Abnormitäten-Schau durchs Land. Der Name des Vaters fällt im Gespräch immer wieder, er hat ihn geprägt wie kein zweiter. „Mein Vater wollte, dass ich einen anständigen Beruf erlerne, um ein Standbein außerhalb der Schaustellerei zu haben. So wurde ich Kürschner“, erzählt Schultz. Auch hier wieder der Bezug zu einer vergangenen Welt: Schultz lernte das Pelzhandwerk, einen Beruf, den heute kaum einer mehr kennt. Während seiner Lehrzeit in Berlin boxte er schon so erfolgreich, dass er später in seinem Lehrberuf nicht mehr arbeiten musste.

Seit 35 Jahren tourt er mit seiner Show durch Deutschland

Nach dem Ende seiner Karriere als aktiver Boxer zog es Schultz dann aber doch zu den Anfängen seiner Familie zurück, zur Schaustellerei. Seit mittlerweile 35 Jahren tourt er mit seiner Boxshow durch die Lande. Wie lange er als einer der letzten seiner Art noch von Kirmes zu Kirmes ziehen wird, ist ungewiss. Seine Tochter hat Jura studiert, der Sohn arbeitet ebenfalls in einem ganz anderen Feld.

Die Entwicklung auf dem Wasen sieht Schultz übrigens nicht so negativ wie viele seiner Kollegen: „Wir brauchen die Bierzelte und die Bierzelte brauchen uns“, sagt Schultz, und verabschiedet sich. Er muss den nächsten Kampf vorbereiten. Wer die ganze Truppe von Schultz umhaut, bekommt ein Preisgeld von 2000 Euro. Diesen Fall habe es aber erst einmal in 35 Jahren gegeben. Selbstverständlich auch nur, weil der Chef an dem Abend verletzt war und nicht selbst in den Ring steigen konnte.