Mit 15 K.o.-Siegen in den ersten 15 Profikämpfen hat der Engländer Anthony Joshua im Klitschko-Stil auf sich aufmerksam gemacht. Am Samstag bestreitet der Olympiasieger nun seinen ersten WM-Kampf.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Viele der weltweiten Boxfreunde, denen das Schicksal der Königsklasse ihres Lieblingssports am Herzen liegt, machen gerade eine ziemlich schwere Zeit durch. Sicher, bei seinem eindeutigen Punktsieg über den langjährigen Regenten Wladimir Klitschko am 28. November 2015 in Düsseldorf, da hat der gerne in einem Wohnwagen logierende Tyson Fury aus Manchester, den sie auf der Insel den „Gypsy Warrior“ nennen, eine sportlich exzellente Vorstellung abgeliefert. Mit schnellen Beinen, guten Reflexen und flinken Händen trieb Fury den mehr als elf Jahre unbesiegten Champ aus der Ukraine gekonnt zur Verzweiflung.

 

Weil sich Fury aber abseits des Rings mit seinen abfälligen Tiraden gegenüber Frauen und Homosexuellen ebenso schnell als ziemlicher Dummschwätzer entpuppte, sind auch viele britischen Fans gar nicht mal traurig darüber, dass der 2,06-Meter-Mann einen seiner drei gegen Klitschko eroberten WM-Gürtel schon wieder los ist. Weil Tyson Fury nicht zur Pflichtherausforderung seines IBF-Titels antreten wollte, sondern eher den finanziell wesentlich lukrativeren Rückkampf gegen Klitschko bevorzugt, sind der Ring und die Weltbühne des Boxens jetzt frei für die neue Hoffnung von der Insel: für Anthony Joshua.

Das Duell der Unbesiegten

Wenn der neue Box-Apoll, der sich 2012 in London wie Klitschko 16 Jahre zuvor in Atlanta die olympische Goldmedaille im Schwergewicht sicherte, in der Nacht zum Sonntag (0.30 Uhr Uhr / Sat.1) den neuen IBF-Titelträger Charles Martin fordert, dann soll dies der Beginn einer Ära sein. Die Boxszene ist bereits elektrisiert: Binnen 90 Sekunden ist allein das Internet-Ticketkontingent des ersten Londoner WM-Fights im Schwergewicht seit der Paarung Lennox Lewis gegen Frans Botha vergriffen gewesen; vor der O2-Arena standen zudem 17.000 Fans Schlange. „Wir sind beide hungrig und bereit, alles zu geben“, sagt Anthony Joshua vor dem Duell mit dem ebenfalls unbesiegten Martin, 29, aus Los Angeles (23 Siege, ein Unentschieden, 21 Knockouts).

Tatsächlich bringt Anthony Joshua, der 1,98 Meter große Modellathlet aus Watford, vieles mit, dass es im professionellen Faustkampf für eine große Karriere braucht. Wie Klitschko ist der Sohn nigerianischer Einwanderer eine imposante physische Erscheinung, der zu Beginn seiner Profikarriere überhaupt keine Zweifel an seiner Extraklasse aufkommen ließ: Bei 15 Siegen und 15 Niederschlägen in 15 Kämpfen weist seine Zwischenbilanz eine hundertprozentige K.o.-Quote auf. Sein Gesellenstück legte Anthony Joshua, ein von der Pike ausgebildeter Boxer, der anders als Klitschko auch mal mit viel Herzblut attackiert, im Herbst ab: Da wackelte er gegen seinen Landsmann Dillian Whyte zwar in der zweiten Runde kurz, beendete den Kampf um den Commonwealth-Titel in Runde sieben aber mit einem krachenden Niederschlag. „Meine Fights waren immer unterhaltsam“, sagt Joshua, „und genau deshalb habe ich so schnell diese WM-Chance bekommen.“

Die K.o.Maschine

„Er ist Olympiasieger, eine K.o.-Maschine. Aber der Kampf gegen mich kommt zu früh“ findet dagegen der Weltmeister Martin, obwohl Anthony Joshua neben seiner Schlagkraft und Athletik auch auf ein seriöses und erfahrenes Management setzen kann. Schließlich weiß Eddie Hearn, der Chef der Londoner Matchroom-Boxpromotion, wie man die Karriere eines Boxers befeuert; auch sein Vater Barry ist ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann, der unter anderem den Darts-Weltverband PDC und die World Series im Snooker zu einem millionen-bringenden Unternehmen formte. „Natürlich ist es ein Risiko, Anthony im dritten Jahr als Profi in einen WM-Kampf zu schicken“, sagt Eddie Hearn: „Aber die Heimatmosphäre in London wird ihn zusätzlich beflügeln.“

Zudem hat Anthony Joshua inzwischen gelernt, worauf es im Boxbusiness ankommt. Als er 2011 wegen des Besitzes von Cannabis verhaftet wurde, setzte bei ihm ein Umdenken ein. Also ist der 26-Jährige zu einem skandalfreien Asket mutiert, der sich gesund ernährt und den Sport voll in den Fokus seines Lebens stellt. Bei öffentlichen Auftritten begleitet den Aufsteiger im Schwergewicht aber noch eine Mischung aus Unbeholfenheit und Überheblichkeit. Dennoch sollte es der Weltmeister Martin durchaus als Warnung verstehen, wenn Anthony Joshua sagt: „Ich selbst würde nicht gerne gegen mich boxen.“