Der Boxtrainer Ulli Wegner spricht im Interview über den WM-Kampf von Marco Huck in Stuttgart und den jüngsten Skandal in seinem Sport.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Wenn Marco Huck am Samstag (22.15 Uhr/ARD) in der Stuttgarter Porsche-Arena auf Alexander Powetkin trifft, steht sein Trainer Ulli Wegner mit einem leicht mulmigen Gefühl in der Ringecke. Immerhin tritt sein Boxer erstmals im Schwergewicht an - und tut dies gegen einen Olympiasieger. "Ich weiß, dass ich auf dem Drahtseil mit balanciere", sagt der 69-Jährige.

 

Herr Wegner, das Profiboxen hatte vergangenes Wochenende einen Tiefschlag zu verkraften, als es im Anschluss an den Vitali-Klitschko-Kampf gegen Dereck Chisora zu einer Prügelei kam. Was sagen Sie dazu?

Diese Schlägerei war so beschämend, dass es eigentlich müßig ist, darüber groß Worte zu verlieren. Das Boxen muss durch herausragende sportliche Leistungen auffallen - und nicht durch Skandale.

Dem ist aber leider nicht immer so. Die Bilder von den sich schlägernden Briten Dereck Chisora und David Haye liefen dieser Tage auf fast allen TV-Kanälen.

So etwas darf einfach nicht passieren, denn das Boxen, sowohl auf Amateur- wie auf Profiebene, wird durch derlei Aktionen schwer beschädigt. Alle, die mit diesem Sport zu tun haben, die ihn lieben und von ihm leben, dürfen nicht zulassen, dass sich so etwas wiederholt. Aushängeschilder wie Henry Maske, Dariusz Michalczewski und später dann Sven Ottke haben das Profiboxen in Deutschland populär gemacht. Und zwar deshalb, weil sie tolle Sportler waren, aber auch, weil sie durch ihre menschliche Art überzeugt haben.

Ihr aktueller Schützling Marco Huck, der nun gegen Alexander Powetkin antritt, ist allerdings auch schon häufiger als großspuriger Geselle aufgetreten. Das kann Ihnen doch nicht gefallen, oder?

Man muss immer fair zu jedem Sportler sein - und dazu gehört, dass man sich über die jeweilige Lebensgeschichte informiert. Marco Huck ist Bosnier, wurde im heutigen Serbien geboren und hat nach seinerFlucht während des Balkankriegs in Deutschland eine ganze Zeit im Auffanglager gelebt. Der Vater durfte hier zunächst nicht arbeiten. So etwas prägt einen Menschen, denn viele persönliche Grundlagen werden ja in der Pubertät, also im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, gelegt.

Huck gilt als großes Talent. Aber auch Sie als Trainer erreichen ihn während der Kämpfe mit Ihren Anweisungen nicht immer. Bekommen Sie ihn in den Griff?

Sie können mir glauben: ich stehe permanent unter Spannung, denn die Führung meiner Boxer kostet mich viel Kraft. Das bemerken die Jungs ja oft gar nicht. Marco kommt vom Kickboxen, das ist ja eher eine Prügelei und hat mit dem klassischen Boxen nichts zu tun. Die Umstellung war nicht einfach. Ich möchte aber noch etwas zum Menschen Marco Huck sagen: Wenn man seine Geschichte zugrunde legt, hat er sich auch als Persönlichkeit sehr gut weiterentwickelt.

Nach seiner bisher einzigen Niederlage gegen Steve Cunningham im Dezember 2007 hat Huck Sie allerdings verlassen - und ist zu Manfred Wolke gewechselt...

... und nach vier Wochen ist er dann wieder zurückgekehrt. Er ist eben vielen Faktoren in seinem Umfeld ausgesetzt, die Einfluss auf ihn nehmen wollen. Er hat jetzt geheiratet, will mal eine Familie gründen. Er ist auch finanziell für seine Eltern und seinen Bruder da. Das muss so ein Junge alles erst einmal verkraften. Sein Vater hat sich damals dafür starkgemacht, dass der Marco wieder zu mir zurückkehrt.

Sind Sie als Trainer eigentlich auch für Lebenstipps abseits des Rings zuständig?

Es sind nach Marcos Niederlage gegen Cunningham viele Dinge auf ihn eingeprasselt, die er nicht richtig einordnen konnte. Da hätte ich ein Auge drauf haben müssen. Aber ich möchte auch erwähnen, dass ich in meiner Trainingsgruppe mit den Boxern Yoan Pablo Hernandez, mit Dominik Britsch oder Robert Helenius viele ganz hervorragende Kerle trainiere - die tun auch dem Marco sehr gut.

Marco Huck ist WBO-Weltmeister im Cruisergewicht, tritt jetzt auf eigenen Wunsch erstmals im Schwergewicht an. Sie waren von dieser Idee anfangs nicht begeistert. Warum machen Sie jetzt doch mit?

Er hat nun mal diesen Traum, Weltmeister in der Königsklasse des Boxens, dem Schwergewicht, zu werden. Also bin ich den Weg mitgegangen, weil ich nicht sein Gegenspieler sein wollte. Ich weiß, dass ich als Trainer deshalb nun ebenfalls auf dem Drahtseil mit balanciere. Ich trage im Kampf gegen Powetkin eine große Verantwortung - der will ich gerecht werden.

Hat Marco Huck überhaupt eine Siegchance? Er kommt aus dem Cruisergewicht, dem Limit bis 91 Kilogramm, und musste daher Gewicht draufpacken. Hat er dadurch nicht zu viel an Dynamik verloren?

Marco Huck wird gegen Alexander Powetkin genau das Gewicht haben, das er braucht. Aber klar ist auch: wir sind der hundertprozentige Außenseiter. Ich halte Powetkin nach den Klitschkos für den drittstärksten Schwergewichtler der Welt. Er war bei den Amateuren Olympiasieger und Weltmeister - das sollte man beachten. Das habe ich meinem Jungen auch gesagt.

Das klingt nicht ermutigend.

Wieso? Wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass Marco siegen kann, dann würde ich ihn nicht in den Ring schicken. Ich habe nur darauf hingewiesen, wie stark der Gegner ist - danach habe ich den Marco aber ganz positiv aufgebaut.

"Ich kann Menschen nicht im Stich lassen"

Der Kampf wird von Ihrem Arbeitgeber, demSauerland-Stall, als WBA-Weltmeisterschaft im Schwergewicht verkauft, was mit Verlaub eine kleine Mogelpackung ist. Den WBA-Gürtel hält Wladimir Klitschko - auch wenn die WBA sehr kreativ ist, wenn es darum geht, WM-Kämpfe auszurufen, weil sich so etwas verdienen lässt. Was halten Sie von diesem Durcheinander?

Sie werden verstehen, dass ich mich an diesem Punkt raushalten möchte. Ich bin der Trainer - die WBA hat ja Wladimir Klitschko zum sogenannten Superchampion ernannt. Solche Dinge sind die Angelegenheit des Weltverbandes.

Besteht die Gefahr, dass Marco Huck abhebt, sollte er den Kampf gewinnen?

Ganz egal, wie der Kampf ausgeht, werde ich gefordert sein, ihm die Realitäten klarzumachen. Wenn Marco verliert, dann muss ich ihn wieder aufbauen. Er behält ja seinen WM-Gürtel im Cruisergewicht - und da boxen zurzeit viele richtig gute Kanonen wie etwa Denis Lebedew.

Und wenn er gegen Powetkin gewinnt?

Dann brauche ich die doppelte Kraft, um dafür zu sorgen, dass er mit diesem Erfolg richtig umgeht.

Apropos Kraft. Sie sind mit 69 Jahren kein junger Dachs mehr. Wie lange wollen Sie sich den Kraft raubenden Trainerjob noch antun - oder ist Ihr Beruf Ihr Lebenselixier?

Eines ist klar: mir würde auch ohne den Trainerberuf nicht langweilig werden. Ich könnte Fachvorträge halten, und ich habe auch noch viele andere Hobbys. Aber wissen Sie, ich habe nun mal eine ganz große Schwäche: Ich kann Menschen nicht im Stich lassen. Und ich habe so viele talentierte Boxer, die wegen mir und Wilfried Sauerland zu unserem Team gekommen sind. Da kann ich nicht so einfach gehen.

Ihre Frau Margret hat aber schon mehrfach gesagt, Sie sollten Schluss machen.

Es ist stimmt ja, dass der Ulli Wegner mit seiner Art zu leben finanziell schon gut über die Runden kommen würde. Meine Frau möchte eben gerne noch etwas mit mir zusammen erleben. Ich bin ja oft weg in Trainingslagern oder in der Woche vor dem Kampf am Austragungsort. Auf der anderen Seite ist meine Frau aber auch stolz auf das, was ich mache. Das weiß ich.

Was müsste also passieren, damit Sie tatsächlich Schluss machen?

Ich bin in der DDR groß geworden - mir ist in meinem Leben bestimmt nichts zugefallen. Mein Wille und meine Zielstrebigkeit sind weiterhin mein Antrieb. Wenn ich aber merken würde, dass unser Management den Wert meiner Arbeit nicht mehr zu schätzen wüsste, dann müsste ich gehen. Das würde aber nicht zwangsläufig bedeuten, dass ich als Trainer aufhörte.

Es gibt also noch andere Angebote?

Das haben Sie gesagt. Ich sage: ich bin dem Sauerland-Stall immer treu gewesen. Und darauf bin ich stolz.

Der Andrea-Berg-Fan

Autobiografie "13 Runden" heißt die Autobiografie des Boxtrainers Ulli Wegner, die am 6. März in den Buchhandel kommt. "Ich habe so viel erlebt, dass gar nicht alles in das Buch passte - obwohl es mehrere Hundert Seiten hat", sagt der 69-Jährige, der einst Sven Ottke und Markus Beyer zu Weltmeistern machte.

Konzert Am Samstagabend wird auch die Schlagersängerin Andrea Berg am Ring sitzen und Wegners Schützling Huck die Daumen drücken. "Ich war am Montagabend bei einem Konzert von ihr in Kleinaspach", sagt Ulli Wegner, "die Andrea Berg ist einfach wunderbar."