Phoebe Bridgers, Lucy Dacus und Julien Baker sind Boygenius. Ihr Album „The Record“, das an diesem Freitag erscheint, vermengt meisterhaft und hochsensibel Indie, Folk und Postgrunge.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Zur wehmütig schrammelnden Gitarre erzählt Phoebe Bridgers die Geschichte von Emily, die auf dem Rücksitz des Autos schläft, so friedlich aussieht, aber von einer brennenden, kreischenden Welt träumt. Und auch die wirkliche Welt ist nicht das Idyll, als das sie sich für einen Moment ausgibt: „Emily, I’m Sorry“ ist ein Breakup-Song, in der Bridgers ihre schwierige Beziehung mit Emily Bannon verarbeitet, ein Meisterwerk der Empfindlichkeit, das sich, wie so viele Stücke dieser Songwriterin aus Kalifornien langsam steigert; ein Lied, das zur Gänsehautballade wird, wenn im Refrain die Stimmen von Julien Baker und Lucy Dacus Bridgers umkreisen.

 

Endlich mal kein Supergroup-Männerclub

Der Ausdruck Supergroup ist eigentlich ein Relikt aus längst vergangenen Rock’n’Roll-Zeiten, als vor Testosteron überquellende Egomanen sich zusammenschlossen, gemeinsam noch größer zu werden. Man denkt daran, wie Eric Clapton, Jack Bruce und Ginger Baker zu Cream wurden, man dankt an Emerson, Lake & Palmer, Crosby, Stills, Nash & Young und vielleicht an die Three Tenors.

Boygenius sind anders. Nicht nur, weil sie Frauen sind und alle bisherigen Supergroups eigentlich immer Männerclubs waren, sondern auch weil hier drei großartige Sängerinnen und Songschreiberinnen nicht versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen, sondern sich wie in „Emily, I’m Sorry“ grandios ergänzen. Zwar darf Phoebe Bridgers ein kleines bisschen mehr als die beiden anderen im Rampenlicht stehen – so auch im von Fingerpicks angetriebenen „Evolution 0“ oder im Schlusslied „Letter to an Old Poet“, das die sanft-verschnörkelte harmonische Opulenz besitzt, die auch immer wieder ihr Solowerk auszeichnet. Doch trotzdem sind Boygenius mehr als die Summe von drei großartigen Musikerinnen, die bereits 2018 zusammengefunden haben, aber erst jetzt ihr Debütalbum veröffentlichen.

Die Panne mit dem Nazi-Black-Metal-Aufnäher

Auf „The Record“ prallen meisterhaft-hochsensibel zarte Akustikwalzer wie „We’re in Love“, knuffige Indiepopsongs wie „True Blue“ oder Anti Curse“, Folknummern wie „Cool About It“ oder störrisch-sperrige Alternative-Rocker wie „$20“ aufeinander – störrische Indiegitarrenriffs treffen auf vielschichtige Harmonien und verschnörkelte Gesangsmelodien.

Und nicht die knurrige Post-Grunge-Nummer „Satanist“, in der Ecstasy geschluckt und ein Fernseher zertrümmert wird, hat sich als der größte Boygenius-Aufreger erwiesen, sondern der bittersüße Indiepopsong „Not Strong Enough“ – beziehungsweise das Video dazu: In dem Clip trägt Julien Baker auf ihrer Jacke einen Aufnäher, der das Emblem einer deutschen Nazi-Black-Metal-Band zeigt. Boygenius haben sich inzwischen dafür entschuldigt und versichert, dass sie nicht gewusst hätten, welche Bedeutung das Symbol hat. Das Video wurde inzwischen überarbeitet.

Boygenius: Album und Tournee

Boygenius kommen im August für zwei Konzerte nach Deutschland: am 15. in die Berliner Verti Music Hall, am 16. ins Kölner Palladium.

Boygenius: The Record. Universal/Interscope