Klimawandel, Bodenverbrauch und Lebensqualität haben einst, als mit Beginn der Industrialisierung viele Gewerbegebiete auch in der Region Stuttgart entstanden sind, überhaupt keine Rolle gespielt. Zwar hat es in den vergangenen Jahrzehnten erste, meist zaghafte Bemühungen gegeben, die noch immer existierenden, oft unwirtlichen Flächen am Rande der Siedlungen zumindest ein wenig aufzupeppen. Doch eine wirklich nachhaltige Entwicklung und Neuordnung der bereits bestehenden Industrieareale sind bis heute in der Region meist eher Wunschtraum als Wirklichkeit.
„Das Thema Nachhaltigkeit wird beim anstehenden Transformationsprozess der Wirtschaft eine zentrale Rolle spielen“, ist sich Walter Rogg, der oberste Wirtschaftsförderer der Region Stuttgart, sicher. Viele Unternehmen werden, so prophezeit er, ihre Ansiedlung im Großraum Stuttgart auch davon abhängig machen, ob man ihnen attraktive, zeitgemäße Flächen in einem für die Mitarbeitenden attraktiven Umfeld anbieten kann. Um diesen Prozess zu erleichtern, will die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart (WRS) mit dem neuen Projekt „Nachhaltige Gewerbegebiete im Bestand“ nun Kommunen und Unternehmen gleichermaßen mit Rat und Tat unterstützen.
Gezielte Nachverdichtung in Gewerbegebieten
Entsprechende Pläne hat Walter Rogg jetzt im Wirtschaftsausschuss der Regionalversammlung vorgestellt. Ziel des Prozesses, der neben der eigentlichen Bedarfsanalyse auch eine Pilotphase und – so diese erfolgreich ist – eine Umsetzungsphase vorsieht, ist es, möglichst viele Gewerbegebiete nicht nur ökologisch im Hinblick auf Klima und Energie, die schonende Ressourcennutzung und eine nachhaltige Mobilität aufzuwerten.
Auch ökonomische Kriterien wie eine zukunftsfähige Infrastruktur und die Steigerung der Aufenthaltsqualität im jeweiligen Gebiet und der Attraktivität des beruflichen Umfelds für die Mitarbeitenden und die Fachkräfte sollen eine Rolle spielen. Ziel ist es weiter, durch gezielte Nachverdichtung die Flächeneffizienz in den existierenden Gewerbegebieten zu erhöhen.
Unter anderem will die WRS ein Expertennetzwerk mit Vertretern aus den Bereichen Stadtklima, Begrünung, Biodiversität, Energie, Wasserstoff, Mobilität, Kreislaufwirtschaft, Flächenmanagement und Städtebau schaffen und mithilfe von Workshops sowie der Vermittlung von Fachexperten die Kommunen bei der Entwicklung nachhaltiger Konzepte für bestehende Gewerbegebiete unterstützen. „Es geht uns darum, sämtliche bereits bestehende regionale Instrumente des Gewerbeflächenmanagements und der Standortentwicklung zur Verfügung zu stellen“, fasst Walter Rogg zusammen.
Service-Paket für Kommunen und Betriebe
Bis zum kommenden Frühjahr soll es eine Explorationsrunde mit ausgewählten Kommunen geben, die bereits über ein eigenes Gewerbegebietsmanagement verfügen. Zudem ist ein Workshop mit zahlreichen Kommunen geplant, in dem bereits die ersten Service-Pakete für Kommunen und Betriebe erarbeitet werden sollen. Parallel dazu entwickelt die Hochschule für Technik Stuttgart Modellansätze insbesondere für energetische Maßnahmen.
Daran anschließen soll sich bis Ende 2023 eine Pilotphase mit einem oder zwei Pilotgebieten, in denen die Ansätze auf ihre Erfolgsaussichten in der Realität geprüft werden sollen. Dabei soll auch die Frage im Mittelpunkt stehen, welche regionalen Unterstützungsangebote und Strukturen für die Kommunen letztlich einen signifikanten Mehrwert bei der konkreten Umsetzung bringen.
„Die Kommunen wissen selber am besten, wo es freie Flächen gibt“
Dass dieser ausgesprochen gering sein wird, das halten die beiden Ex-Oberbürgermeister Jürgen Zieger (Esslingen, SPD) und Andreas Hesky (Waiblingen, Freie Wähler) für eher wahrscheinlich. Entsprechend skeptisch fällt ihre Einschätzung aus. Hesky: „Die Kommunen wissen am besten, wo es freie Flächen gibt.“ Und sie wären theoretisch auch in der Lage, diese sinnvoll zu entwickeln. Allein: Das Problem sei, dass viele Unternehmer lieber an ihren Grundstücken festhielten, als diese in Geld zu verwandeln.
Der Esslinger Ex-OB Jürgen Zieger sagt es so: „Es besteht in den Städten und Gemeinden kein Kenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem.“ Die Lebenswirklichkeit vor Ort sei, dass sich die Eigeninteressen der Unternehmer von denen der Städte grundsätzlich unterscheiden. Das mache die nachhaltige Entwicklung von Gewerbegebieten so kompliziert.
Dennoch hat das Gremium des Regionalparlaments die beantragten 180 000 Euro für die Aktivitäten zu den nachhaltigen Gewerbegebieten bis zum Jahresende 2023 freigegeben. Bevor es dann in die deutlich kostenintensivere Umsetzungsphase geht, soll aber noch mal einmal über die Sinnhaftigkeit des Projekts diskutiert werden.