In der Konstanzer Altstadt entsteht beim Brand eines Wohn- und Geschäftshauses ein Millionenschaden. Immerhin können die Bewohner weitgehend unversehrt gerettet werden. Doch die Löscharbeiten ziehen sich hin. Und völlig offen ist, wie es weitergeht.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Mit weit geöffneten Augen steht Susanne Schippel am unteren Ende der Zollernstraße unweit vom Konstanzer Hafen vor einem Absperrband und blickt auf das, was sie nicht fassen kann. Auch jetzt, am frühen Nachmittag, fahren die Feuerwehrleute mit einer Drehleiter immer wieder hoch zum Dach und spritzen auf diejenigen Stellen, an denen noch immer Rauch aufsteigt. „Das ist doch eines der schönsten Gebäude hier in Konstanz“, sagt die 60-Jährige. Jetzt ist der Komplex, der eigentlich aus drei Häusern besteht, durch den Brand und das Löschwasser massiv einsturzgefährdet. Vor allem der Giebel und die Fassade seien betroffen. Ein Statiker müsse das Gebäude untersuchen, heißt es von der Polizei. Auch das Technische Hilfswerk ist vor Ort, um den Bau provisorisch abzustützen.

 

Gegen ein Uhr in der Nacht zum Donnerstag waren viele Konstanzer von den Martinshörnern der Feuerwehr und der Polizei aus dem Schlaf gerissen worden. Andere wie Susanne Schippel schliefen weiter. Nur einen Hubschrauber habe sie gehört. Umso fassungsloser steht sie nun vor der Brandruine. „Ich dachte, die suchen wieder jemanden“, sagt der Betreiber des Kiosks an der Laube. Noch riecht es in weiten Teilen der Stadt nach Rauch. Viele Straßen sind gesperrt.

Ein Löschroboter kommt zum Einsatz

Vermutlich im zweiten Obergeschoss, so hat es die Polizei rekonstruiert, war es in der Nacht zu einer starken Rauchentwicklung gekommen. Zur Ursache machte die Polizei zunächst keine Angaben. In der Folge habe sich der Brand schnell über das dritte Stockwerk und den hinteren Bereich ausgebreitet. Kurz darauf stand der ganze Dachstuhl lichterloh in Flammen. Die Feuerwehr war mit 200 Kräften vor Ort und wurde von Polizei, Rettungsdienst und städtischen Betrieben unterstützt. Mit vier Drehleitern versuchten die Feuerwehrleute zunächst, ein Übergreifen auf andere Gebäude zu verhindern. Am Nachmittag wird aus Singen ein Löschroboter geliefert. Man erreiche von oben nicht alle Glutnester, sagt der Sprecher der Konstanzer Feuerwehr, Fabian Daltoe. Die Polizei geht schon jetzt von einem Schaden in siebenstelliger Höhe aus.

Glück im Unglück: alle Bewohner des Hauses werden gerettet. Nachdem zunächst von 16 Verletzten die Rede ist, korrigiert die Polizei im Laufe des Tages die Zahl auf sieben. Sie erlitten vor allem Rauchgasvergiftungen. Auch die Nachbarhäuser werden in der Nacht evakuiert. Über die Warn-App Nina werden die Konstanzer aufgefordert, Türen und Fenster zu schließen und die linksrheinische Altstadt zu meiden.

Auch die Touristen fühlen mit

Gleichwohl füllt sich die Stadt am Vormittag wieder. Auf dem nahen Stephansplatz sind die Stände für das Weinfest aufgebaut, das am Mittwochabend begonnen hat. Zahlreiche Touristen schlendern durch die Gassen und geben sich ebenfalls betroffen. Auf der Anfahrt mit dem Schiff aus Richtung Meersburg hätten sie den Rauch über der Stadt gesehen, berichtet Denis Roessel. Der 57-Jährige aus dem Elsass will seiner Frau unter anderem den Oberen Konzilssaal zeigen. „Da habe ich vor 35 Jahren mit der Militärkapelle ein Konzert gegeben.“ Doch daraus wird nichts. Das Konzilsgebäude hat die Stadt zur Notunterkunft für die Anwohner der Zollernstraße umfunktioniert. Eine Bekannte, die in dem ausgebrannten Haus unter dem Dach wohne, habe ihr gesamtes Hab und Gut verloren, berichtet die Altstadtbewohnerin Heike Seehaus unserer Zeitung. „Sie ist völlig aufgelöst.“

Das betroffene Wohn- und Geschäftshaus liegt zwar mitten in der mittelalterlichen Altstadt von Konstanz, es ist aber neueren Datums. 1903 war es von einer Verlegerfamilie an der Stelle eines mittelalterlichen Vorgängerbaus als repräsentatives Druck- und Verlagshaus errichtet worden. Das historisierte Gebäude wirkt mit seiner Steinfassade ein wenig wie ein Stadtpalais. In einer rückwärtigen Werkstatt stünden noch heute die Druckmaschinen, sagte der Historiker und Leiter der Museen, Tobias Engelsing.

Gleichwohl steht das Gebäude unter Denkmalschutz und ist eines der beherrschenden Häuser an der Zollernstraße, die sich dort zu einem länglichen Platz weitet. Im Erdgeschoss befindet sich ein dänisches Möbelhaus, das der vormalige Eigentümer erst vor einem Jahr weitergegeben hat. Derweil fühlen sich viele Konstanzer an den letzten Altstadtbrand erinnert. An Weihnachten 2010 waren drei Gebäude am Obermarkt ausgebrannt. Eines der Häuser stürzte ein, auch ein anderes musste abgerissen werden. Damals war ein im Hausgang aufgehängter Adventskranz die Ursache.

Der Wiederaufbau dauerte Jahre. Eine Diskussion über den Brandschutz in der durch enge Gassen geprägten Altstadt war die Folge. Zwar gibt es auch im Bereich der Zollernstraße seit dem Spätmittelalter Feuergassen, die ein Ausbreiten von Bränden verhindern sollen. Viele historische Gebäude verfügen aber über einen Fachwerkkern.

Erinnerung an Brand vor 14 Jahren wird wach

Auch für die Zollernstraße ist es laut Engelsing nicht das erste verheerende Feuer der Neuzeit. 1967 brannte das sogenannte Hohe Haus aus, ein spätmittelalterlicher Patriziersitz, damals kam ein Mensch ums Leben. In den frühen 1980er-Jahren stand dann ein spätmittelalterliches Wohnhaus an der Arkadenseite, genau gegenüber dem jetzigen Brandort, in Flammen. In beide Fällen konnten die Gebäude allerdings wieder originalgetreu aufgebaut werden.