Am Tag nach der Brandkatastrophe mit 14 Toten herrscht in Titisee-Neustadt noch immer Trauer und Fassungslosigkeit. Die Ursache für den Brand in der Behindertenwerkstatt war ein Gasexplosion.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Die Stadt wirkt wie gelähmt. Nach dem Brand in einer Behindertenwerkstatt in Titisee-Neustadt, bei dem 14 Menschen am Montag ums Leben gekommen sind, sind die Bewohner noch immer fassungslos. „Die ganze Stadt steht unter Schock, man kann die ganze Dimension noch gar nicht fassen“, sagt der Bürgermeister Armin Hinterseh.

 

Am frühen Abend gibt der Freiburger Leitende Oberstaatsanwalt Peter Häberle die Brandursache bekannt: Ausströmendes Propangas und eine anschließende Verpuffung haben die Katastrophe verursacht. In der Behindertenwerkstatt habe sich ein Gasofen befunden, der mit einer elf Kilogramm schweren Gasflasche verbunden war, sagt Häberle. Das Gas habe sich entzündet und zu einer unkontrollierten Verpuffung geführt. Unklar ist, warum der Gasofen überhaupt in der Werkstatt stand, es gab dort eine Heizung. Unklar sei auch, warum sich das Gas entzündete, so der Staatsanwalt. In der Werkstatt wurde nicht mit Feuer gearbeitet. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft konzentrieren sich nun darauf, warum das Gerät in der Werkstatt war. Alle 14 Toten hätten sich zum Zeitpunkt der Explosion im Raum mit dem Gasofen befunden.

Die Werkstatt wird zur Todesfalle

Die Werkstatt im ersten Stock wurde somit zur Todesfalle: 13 Menschen mit Behinderung, zehn Frauen im Alter von 28 bis 68 Jahren sowie drei Männer im Alter von 45 bis 68 Jahren, sowie eine 50 Jahre alte Betreuerin starben bei dem Brand in der Caritas-Werkstatt. Die Einrichtung wird vom Caritas-Stadtverband im 37 Kilometer entfernten Freiburg betrieben, der Einzugsbereich erstreckt sich über den Schwarzwald bis nach Bonndorf. Für die 120 Arbeitsplätze stehen 25 Betreuer zur Verfügung. Die Überlebenden der Katastrophe sind jetzt bei ihren Angehörigen oder in Wohnheimen in Neustadt, sie werden von Fachleuten der Caritas und anderen Einrichtungen betreut, auch von der Uniklinik Freiburg. Es gibt eine Hotline, die rund um die Uhr besetzt ist.

„Beschützende Werkstätten“ – wie solche Einrichtung früher hießen – betreibt nicht nur die katholische Caritas. Auch evangelische oder weltliche Träger wie die Lebenshilfe unterhalten solche Werkstätten, in denen geistig und/oder körperlich behinderte, aber arbeitsfähige Menschen einer geregelten Arbeit nachgehen oder eine Berufsausbildung machen können. Unter Bedingungen, die in der auf Effizienz getrimmten Industrie so nicht möglich wären. Mit fachlicher Betreuung und ohne Stress, aber nicht als bloße Beschäftigungstherapie. Die Auftraggeber der Behindertenwerkstätten erwarten pünktliche Lieferung.

Gerade stand das Verpacken von Weihnachtsgeschenken an

In diesen Wochen stand in der Caritas-Werkstatt in Titisee-Neustadt das Verpacken von Weihnachtsgeschenkartikeln auf der Tagesordnung. Am Tag des Brandes sollte der Advents- und Weihnachtsbasar im Gewerbegebiet Im Bildstöckle beginnen, der Plakatreiter mit den Öffnungszeiten stand noch, als die Toten bereits abtransportiert worden waren und zu den 200 Feuerwehrleuten, Polizisten und Rotkreuzhelfern noch ein Heer von Medienvertretern stießen. Die Katastrophe hatte kurz vor 14 Uhr am Montag ihren Lauf genommen. Zeugen berichteten von einer Explosion, lange blieb unklar, ob diese den Brand ausgelöst oder eine Folge des Feuers war.

In der Caritas-Werkstatt in Titisee-Neustadt wurde nicht nur verpackt, sondern auch montiert. Für die Schreinerei war der Bund Umwelt und Naturschutz (BUND) ein Großkunde, er ließ dort Vogelnistkästen fertigen. „Vor einer Woche haben wir dort den 5000. Nistkasten abgeholt“, erzählt der schockierte BUND-Regionalgeschäftsführer Axel Mayer. „Wir haben diese Arbeit bewusst an eine soziale Einrichtung vergeben und nicht billig auf dem Weltmarkt eingekauft.“ Die Vogelhäuschen aus regionalem Holz werden vom BUND an Schulen und Kindergärten verschenkt.

Die Arbeitsplätze unterliegen den Standards der Industrie

Die Caritas wirbt bundesweit mit dem geschützten Warenzeichen Cap-handy für Produkte aus ihren Behindertenwerkstätten. Der gleichnamige Verein bietet auch Fortbildungsveranstaltungen etwa zum Thema „Systematische Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen“ an. Über Behindertenwerkstätten können sich Unternehmen einer unliebsamen Pflicht entledigen. Sie müssten eigentlich (je nach Betriebsgröße) eine Zahl von behinderten Menschen beschäftigen oder wenn sie es nicht tun, eine Ausgleichsabgabe zahlen. Wer stattdessen Arbeitsaufträge an eine Behindertenwerkstatt vergibt, kann die Hälfte des Rechnungsbetrages mit der Abgabe verrechnen.

Die Arbeitsplätze sind für behinderte Arbeitskräfte ausgestattet, unterliegen aber auch den Standards der Industrie. Für Behindertenwerkstätten gilt wie für alle Industriebetriebe die Arbeitsstättenverordnung, inklusive der Vorschriften für den Unfallschutz. Es muss Beauftragte für die Arbeitssicherheit und für den Umgang mit Gefahrgut geben. Außerdem gilt die Werkstättenverordnung. In einer Behindertenwerkstatt tätige Betreuer müssen eine sonderpädagogische Zusatzausbildung haben. In der Zeit einer Berufsausbildung muss eine Betreuerin oder ein Betreuer für sechs Leute da sein, im Arbeitsprozess ist das Verhältnis eins zu zwölf.

Die Feuerwehr sagt: „Der Brandschutz hat gehalten“

Die Caritas hat in ihrer Einrichtung in Titisee-Neustadt all diese Vorschriften eingehalten, beteuert Karlheinz Gäßler, der Sprecher des Freiburger Caritasverbandes. Der Brand brach im erst vor sechs Jahren eröffneten neuen Anbau aus. Die Freiwillige Feuerwehr Titisee-Neustadt kennt die Einrichtung, sie hat dort mehrfach Übungen durchgeführt. Die Einsatzkräfte um Kommandant Gotthard Benitz waren sechs Minuten nach dem Alarm vor Ort. „Der Brandschutz hat gehalten“, sagt der Feuerwehrkommandant. Das heißt, die Brandmauern und Schutzmaßnahmen haben ihre Aufgabe erfüllt, so dass sich das Feuer nicht weiter ausbreiten konnte.

Doch wer im Rollstuhl sitzt oder nicht so schnell reagieren kann wie ein Mensch ohne Behinderung, kann in Sekundenschnelle Opfer des hochgiftigen Rauchgasgemischs werden, das schnell zu Bewusstlosigkeit und Vergiftung der inneren Organe führt. Die Opfer in Titisee-Neustadt haben die barrierefreien Zugänge und Rampen für Rollstuhlfahrer gar nicht erreicht.