Stuttgart - Kritiker des Bahnprojekts Stuttgart 21 haben vor dem Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in Mannheim einen Sieg über die Deutsche Bahn errungen. In einem neuen Rechtsstreit um die Einsicht in Unterlagen zum Brandschutz in den S-21-Tunneln stellte sich der VGH auf die Seite der klagenden „Ingenieure 22“ und gegen die Projektgesellschaft Stuttgart–Ulm. Diese muss danach auch solche Dokumente über Brandschutz-Simulationen zur Verfügung stellen, die nicht bei ihr selbst, sondern bei einem Vertragspartner vorliegen. Damit korrigierte der VGH eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart (AZ: VGH 10 S 1177/21).
Hintergrund des Streits sind Zweifel der Projektkritiker, ob der Brandschutz bei Stuttgart 21 gewährleistet ist. Für unzureichend halten sie insbesondere Simulationen zur Evakuierung aus Tunneln, die von der Bahn bei der Schweizer Gruner AG in Auftrag gegeben worden waren. Ein Rechtsstreit um deren Herausgabe war Ende 2019 vor dem VGH mit einem Vergleich beendet worden. Darin verpflichtete sich die Bahn, dem Antragsteller Einblick in die Dokumente zu gewähren – aber auch nur diesem.
Bahn verweist auf Missbrauchsgefahr
Gegen eine Veröffentlichung von Dokumenten zu Notfallkonzepten habe man sich „erfolgreich gewehrt“, sagt ein Bahn-Sprecher. Begründung: Für die Bahn habe die Sicherheit der Reisenden „oberste Priorität“. Daher veröffentliche man grundsätzlich keine Dokumente zu Notfallkonzepten. Dies könne die Sicherheit von Menschen und Anlagen gefährden, „weil Dritte diese Unterlagen gegebenenfalls missbrauchen könnten“. Ihre Pflichten aus dem Vergleich betrachtete die Bahn als erfüllt. Der Kläger von den „Ingenieuren 22“ sah dies anders. Bei der Einsichtnahme habe die Bahn nur einen Bericht über die Simulationen vorgelegt, nicht aber die Simulationen selbst, monierte er. Zudem habe sie es ihm verweigert, die Simulationen vor Ort bei der Gruner AG in Basel einzusehen. Also zogen die Kritiker erneut vor Gericht, um eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs zu erhalten und einen Gerichtsvollzieher beauftragen zu können.
Umfassender Erfolg vor dem VGH
Gegen die Abweisung durch das Verwaltungsgericht Stuttgart beschwerte sich der Kläger vor dem VGH. Dieser gab ihm umfassend recht. Nicht gelten ließ der zuständige Senat die Argumentation der Bahn, sie verfüge über keine weiteren Dokumente und sei zur Beschaffung von Informationen nicht verpflichtet. Nach dem Vergleich sei die Bahn sehr wohl verpflichtet, die bei Gruner vorliegenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen; dabei spiele es keine Rolle, ob es sich um Urkunden auf Papier oder um elektronische Dokumente handele. Die Kosten des Verfahrens trägt alleine die Bahn. Die S-21-Kritiker werten das Urteil nicht nur für sich als großen Erfolg. Sie hoffen nun, bald nachvollziehen zu können, mit welchen Parametern die Bahn die Evakuierung aus Tunnels simulieren lassen hat – und was der Brandschutz tatsächlich taugt. Zugleich gehe die Entscheidung „weit über den Einzelfall hinaus“, wie ein Sprecher sagte. Damit werde klargestellt, dass die Projektgesellschaft auch solche Unterlagen für Antragsteller beschaffen müsse, die ihr nicht vorlägen, auf die sie aber Zugriff habe. Dies gelte für Behörden künftig ebenso.