Der Mildenberger Verlag muss einem Shitstorm begegnen. Sogar die Botschaft hat sich eingeschaltet. Der Grund ist die Aussage eines fiktiven, brasilianischen Jungen in einem Lesebuch für Viertklässler.

Familie/Bildung/Soziales: Alexandra Kratz (atz)

Groß und in bunten Regenbogenfarben stehen die Wörter „Demokratie, Vielfalt, Toleranz, Bildung“ auf der Internetseite des Mildenberger-Verlags. Doch die brasilianische Community in Stuttgart und ganz Deutschland ist in Aufruhr. Denn in dem Schulbuch „ABC der Tiere – Sprachbuch 4. Klasse” erzählt ein brasilianischer Junge über sich selbst: „Ich lebe in Rio de Janeiro/Brasilien. Ich gehe nicht in die Schule. Morgens suche ich Essensreste in Mülltonnen. Ich möchte Fußballprofi werden.“ Der Junge ist freilich fiktiv. Doch das, was er sagt, empfinden viele Menschen mit brasilianischen Wurzeln als Beleidigung.

 

„Wir waren schockiert und konnten gar nicht glauben, dass so etwas in einem Schulbuch steht“, sagt Mayla Knabben Malvezzi da Silva. Sie ist Brasilianerin und arbeitet als Kindheitspädagogin und Schulpsychologin an der Swiss International School Stuttgart, die sich in Fellbach befindet. „Ich frage mich: Wer hat das erlaubt? Man muss nicht nach Brasilien gehen, um zu wissen, dass diese Darstellung falsch ist“, sagt die junge Frau. Das Schlimme sei, dass Kinder glauben würden, was da im Schulbuch stehe. „Viele Mädchen und Jungen denken jetzt, dass brasilianische Kinder nicht zur Schule gehen und Müll essen.“

Viele negative Kommentare zum Zitat im Schulbuch des Mildenberger-Verlags

Mit ihrem Ärger ist sie nicht allein. Die Darstellung habe in den vergangenen Tagen „einen Shitstorm ausgelöst mit vielen negativen Kommentaren, sowohl in Deutschland als auch in Brasilien“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung von Mildenberger. Die brasilianische Botschaft in Berlin habe sich ebenfalls kritisch geäußert und angekündigt, Kontakt aufzunehmen. „Auch wir suchen Kontakt zur Botschaft, um den Sachverhalt zu erläutern und gemeinsam Lösungen zu besprechen“, kündigt der Verlag an.

Die Darstellung des brasilianischen Jungen könne den Eindruck erwecken, dass viele brasilianische Kinder sich von Lebensmitteln ernähren, die sie im Müll finden. „Das ist uns von der brasilianischen Community als respektlos gespiegelt worden. Wir werden künftig darauf achten, solche missverständlichen Darstellungen zu vermeiden. Wir als Verlag bedauern sehr, dass wir Menschen durch diesen Inhalt verletzt und beleidigt haben.“ Dies sei nicht beabsichtigt gewesen und entspreche nicht den Werten des Verlags.

Mildenberger-Verlag bittet um Entschuldigung

Mildenberger hat die brasilianischen Community im Internet um Entschuldigung gebeten. In der Pressemitteilung erklärt sich der Verlag. Das eigentliche Lernziel bei der beanstandeten Buchseite sei es gewesen, im Unterricht anhand von vier Beispielen „Stereotype in der Berufswahl“ zu behandeln. „Die Textstelle mit dem brasilianischen Jungen war eingebettet in eine pädagogische Einheit zur Entwicklung von Berufswünschen bei Grundschülern. Die Schulkinder sollten sich kritisch mit ihrer eigenen Zukunft, gesellschaftlichen Chancen sowie der Rolle von Schule, Familie und Medien auseinandersetzen“, schreibt der Verlag. Dabei sei es nicht um die Darstellung eines Landes oder einer Kultur gegangen, sondern um die Reflexion von individuellen Lebenswegen weltweit. „Dass die beanstandete Passage für sich betrachtet eine komplett andere und beleidigende Wirkung erzielen kann, haben wir übersehen. Dafür übernehmen wir die Verantwortung und wir arbeiten intensiv daran, den Fehler zu korrigieren“, heißt es in der Pressemitteilung.

Der Verlag ist seit Tagen im Krisenmodus und hat bereits eine Reihe an Maßnahmen ergriffen. Neben der Erklärung und Entschuldigung via Instagram und Pressemitteilung sind dies:

  • Das Buch wird in dieser Form nicht mehr verkauft, die Bestände werden vernichtet.
  • Der Verlag hat bereits Austauschseiten produziert, die online zum Download für Schulen und Lehrer bereitstehen. In dieser Fassung sind die beanstandeten Textstellen auf insgesamt vier Seiten überarbeitet worden.
  • Der Verlag möchte kurzfristig mit Schulen und Lehrern Kontakt aufnehmen und das Buch innerhalb der nächsten sechs Wochen kostenlos austauschen. Bevor das Buch neu gedruckt wird, sollen die Textstellen mit Vertretern der brasilianischen Community abgestimmt werden.
In der Neufassung stehen Sport und Fußball im Vordergrund. Foto: Kratz

Mayla Knabben Malvezzi da Silva findet, mit einer Entschuldigung allein sei es nicht getan. „Der Schaden ist ja schon da“, sagt sie. Der Verlag müsse seinen Aussagen jetzt auch Taten folgen lassen. Dass er sich dabei noch einmal mit der brasilianischen Community austauschen wolle, begrüße sie. Denn mit der online bereits abrufbaren Neufassung der entsprechenden Textstelle ist sie auch nicht einig. In dieser erzählt der fiktive, brasilianische Junge über sich: „Ich lebe in Rio de Janeiro/Brasilien. Mein Lieblingsfach ist Sport. Mit anderen Kindern spiele ich gerne Fußball. Später möchte ich Fußballprofi oder Architekt werden.“ Dass es in der Aussage des Jungen fast nur um Sport gehe, sei oberflächlich, findet Mayla Knabben Malvezzi da Silva. Brasilien habe mehr zu bieten, als bloß Fußball, so ihre Meinung. Immerhin habe es der Architekt dann auch noch in die Sprechblase des Jungen geschafft.