Alfred Renz ist der letzte Zeitzeuge der alten Wulle Brauerei. Nun feiert er seinen 90. Geburtstag – gesund und munter, auch dank des guten Biers.

Lokales: Matthias Ring (mri)

Stuttgart - Ein Viertele Rotwein am Abend, sagt man, sei gut für Herz und Kreislauf. Wie ist das dann bei einem Bierbrauer, der seinen 90. Geburtstag feiert und sich guter Gesundheit erfreut? „Ich trinke eine Flasche Wulle am Tag zum Vesper“, sagt Alfred Renz. Na gut, Weißwein darf es auch mal sein oder hin und wieder ein Pils, aber auf jeden Fall bleibt er seinen Marken treu: entweder Wulle oder Dinkelacker – kommt ja aus demselben Haus.

 

Renz ist der letzte „Wullianer“. 1949 war er in die alte Traditionsbrauereiin Stuttgart eingetreten, seine Lehre hatte er in seinem Geburtsort Haigerloch absolviert, in der Schlossbrauerei Zöhrlaut. Nach Krieg und Gefangenschaft war er zwei Jahre bei Stuttgarter Hofbräu, ehe er zu Wulle wechselte und seit 1955 Betriebsratsvorsitzender war, später dazu noch als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Beide Ämter bekleidete er auch, nachdem Wulle anno 1971 von Dinkelacker geschluckt wurde.

„Nach der Übernahme wurden wir gut integriert“, sagt Renz. „Sechs von elf Betriebsräten waren von Wulle.“ Dass die Marke nach einem Jahr vom Markt verschwand, habe er leider nicht verhindern können. „Ich war immer dagegen, weil man auch viele Kunden verloren hat“, erzählt Renz. Man habe eben „Kompromisse machen müssen, aber keine faulen.“ Immerhin waren fast alle der mehr als tausend Wullianer gut untergekommen.

Nach dem Krieg noch richtige Männer – und Handarbeit

Umso größer war bei ihm die Freude, als Dinkelacker-Schwaben Bräu 2008 die Marke wiederbelebte und seitdem nach Originalrezept das helle Vollbier braut – wie seit 2014 auch das Wulle Weizen – und in Flaschen mit der beliebten Retro-Optik abfüllt. Selbst der rote „Wir wollen Wulle“-Bulli ist inzwischen wieder zu Werbezwecken im Einsatz.

Was macht für den Brauer ein gutes Bier aus? „Es muss vollmundig und süffig sein, Charakter haben“, sagt Renz, der auch ein großer Fan des Bügelverschlusses ist. „Das ist viel besser als so ein normaler Kronkorken. Das merkt man ja schon beim aufmachen, dass da mehr Druck drauf ist.“ Früher, so erzählt Renz, habe man die Verschlüsse von Hand geschlossen. „Wer das den ganzen Tag gemacht hat, der weiß am Abend schon, was er geschafft hat.“ Überhaupt sei der Brauerberuf damals nach dem Krieg noch richtige Männer- und Handarbeit gewesen. Der Bierkonsum allerdings lag 1950 gerade mal bei 36 Litern pro Kopf. „Das Bier hatte weniger Prozent, war dünner und wurde deswegen auch weniger getrunken.“ Nach Spitzen von bis zu 146 Litern in den 80er und 90ern sinkt der Verbrauch seitdem kontinuierlich und lag 2015 bei 106 Litern. „Es gibt heute halt viel mehr nichtalkoholische Getränke auch aus den Brauereien“, stellt Renz fest.

Der Bierbrauer hat auch das Kochen gelernt

Er selbst hat sich immer als eine Art Bierbotschafter verstanden. Vom deutschen Reinheitsgebot hält er viel, der Craft-Beer-Boom interessiert ihn wenig – und wenn er mit der Wandergruppe von Dinkelacker-Schwaben Bräu einkehrt, dann wird natürlich Bier getrunken. Das Bundesverdienstkreuz, das Renz 1985 kurz vor seinem Eintritt in den Ruhestand verliehen wurde, gilt aber nicht dem Bierbrauer und -botschafter, sondern dem Ehrenamtlichen für seine Tätigkeit als AOK-Verwaltungsrat, Arbeitsrichter und Behindertenbeauftragter. Zudem war Renz vor 70 Jahren in die Gewerkschaft eingetreten, wofür er nun ebenso geehrt wird wie für seine Verdienste für die Familienbrauerei Dinkelacker.

Aber davon will der Jubilar nicht viel Aufhebens machen. Das Bundesverdienstkreuz „liegt irgendwo im Büffet“, und ob er seinen 90. Geburtstag groß feiert, weiß er auch noch nicht. Seine beiden Töchter und deren Männer werden sich schon was einfallen lassen. Renz lebt zufrieden in seiner Wohnung in Bad Cannstatt. Seine Frau ist vor zwei Jahren verstorben, aber er kann sich gut versorgen. „Ich koch auch selbst, als Bierbrauer hat man ja alles können müssen. Nur eins tue ich nicht: Staubwischen – das müssen meine Mädle machen.“