Der Brauereigasthof Ketterer in der Marienstraße hatte eine große Tradition und künstlerischen Anspruch: In den Speisesälen hingen sogar Bilder von Reinhold Nägele. Jetzt ziehen Läden in das Erdgeschoss ein. Das Hotel Ketterer und der Jazzkeller bleiben.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Das Gebäude in der Marienstraße 3 gehört zu den markantesten Häusern in der oberen Fußgängerzone: Die runden Arkaden, das Relief mit schwäbischen Trachtengruppen und die filigranen Balkone geben ihm ein besonderes Aussehen. Jetzt ist das Haus verkauft worden – allerdings wird um den Investor ein Geheimnis gemacht. Das Baurechtsamt darf nichts sagen, weil der neue Besitzer Datenschutz beantragt hat. Und der Verkäufer, die Brauerei Ketterer in Pforzheim, will nichts sagen. Es soll sich um private Investoren aus Baden-Württemberg handeln.

 

Klar ist jedenfalls, dass sowohl das Hotel Ketterer mit seinen 103 Zimmern als auch der Jazzkeller bleiben können. Dies bestätigte Markus Hofherr, der das Hotel betreibt: „Unser Pachtvertrag läuft weiter.“ Nur im Erdgeschoss wird sich einiges verändern: Die Räume werden derzeit renoviert. Dort, wo früher der berühmte Brauereigasthof Ketterer und eine Schlecker-Filiale untergebracht waren, sollen bald Einzelhandelsgeschäfte einziehen. Vermutlich werden die Läden bis zur Straße vorgezogen; die Schaufenster kommen also in die Arkadenbögen. Die Fassade des Gebäudes, das nicht unter Denkmalschutz steht, wird sich dadurch verändern.

Mindestens drei Jahre wird es noch Jazz im Keller geben

Für den Jazzkeller gibt es eine Perspektive von mindestens drei Jahre. So lange laufe der Mietvertrag mit dem neuen Besitzer, sagte Helmut Schneider, der Vorsitzende der Jazz-Society. Dieser Verein stellt gemeinsam mit der Jazz-Initiative das Programm auf die Beine. Jazz in der Marienstraße 3 hat eine lange Tradition: Schon seit 40 Jahren treten dort ununterbrochen Bands auf. Laut Jazz-Society ist die Traditional Jazz Hall in der Marienstraße damit der älteste Jazzclub der Stadt.

Aber auch das Gebäude selbst hat eine bemerkenswerte Geschichte. Es ist 1929 von Wilhelm Sebastian Ketterer, dem Chef der Familienbrauerei Ketterer in Pforzheim, gebaut worden. Dort zog an Pfingsten 1930 neben dem Hotel ein Brauereigasthof ein, der lange Jahrzehnte einen beinahe legendären Ruf in Stuttgart besaß. Nach dem Krieg, den das Gebäude weitgehend unbeschadet überstanden hatte, übernahm Karl Speker die Leitung der Gaststätte – es gab Schlachträume und eine Räucherei, und im großen Speisesaal spielte auf der Galerie eine Kapelle für die Gäste. Mit zwölf Köchen, 130 Angestellten und 500 Sitzplätzen war es fast das Stuttgarter Pendant zum Münchner Hofbräuhaus. In einer Festschrift heißt es: „Für jeden Schwaben aus dem Ländle war bei einer Reise in die Landeshauptstadt ein ausgedehnter Besuch im Ketterer eine Selbstverständlichkeit.“

Vier Gemälde von Reinhold Nägele schmückten den Speisesaal

Das lag auch daran, dass Wilhelm Ketterer ein Kunstfreund war. Das erwähnte Relief an der Fassade zeugt davon, noch mehr aber die frühere Einrichtung in den Sälen. Der Bauherr hatte mehrere Künstler beauftragt, im Inneren die Geschichte der Auslandsdeutschen darzustellen. Bis heute ist diese Geschichte durch deren Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten in Verruf. Ketterers Ansichten dazu sind nicht bekannt. Für den großen Saal hat Michael Zeno Diemer große Gemälde angefertigt, die Szenen aus den Auswanderungsgebieten zeigten: die Ankunft schwäbischer Siedler im Banat, eine neue Pflanzung in Kanada, die idyllisch gelegenen Dörfer unterhalb des Vulkans Osorno in Chile oder die Palmenstraße entlang der Siedlung Blumenau in Brasilien. Daneben hatte ein Professor Erlacher 14 Figurenpaare geschaffen, die jeweils einen Mann und eine Frau in typischer Tracht aus Dakota, Bessarabien oder Palästina zeigten.

Der größte Schatz aber waren vier Gemälde des Stuttgarter Malers Reinhold Nägele – auf ihnen sind Ansichten der Städte Rottweil, Schwäbisch Hall, Ulm und Horb zu sehen, von wo viele Schwaben sich auf den Weg in die Fremde gemacht hatten. Das Gemälde „Horb“ ist verschollen. Alle anderen Bilder und Figuren haben die Nachfahren Ketterers an sich genommen. „Alles ist in Sicherheit“, meinte Seniorchef Peter Ketterer. Mehr mochte er nicht sagen.

Die Gaststätte selbst ist vor etwa zwei Jahren endgültig geschlossen worden. „Ein so großes Lokal, das kriegt man heute nicht mehr voll“, sagte Peter Ketterer: „Stuttgart ist eben doch kein München.“