Das wachende Auge der Mütter ist immer dabei: Alljährlich im Frühjahr begeben sich die unverheirateten Männer der bulgarischen Kalderasch-Roma auf Brautschau. Doch die Zeiten, in denen der Heiratsmarkt die einzige Chance der Kontaktaufnahme war, sind längst vorbei.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Stara Sagora. - Der ungewohnte Gang auf den hohen Absätzen fällt auf dem holprigen Asphalt noch schwer. Stolz, aufgeregt oder verlegen zerren die Mädchen mit den rot gepuderten Wangen an kurzen Mini-Röcken und Glitzerkleidern. Suchend lässt die siebenfache Mutter Petrena ihren erfahrenen Blick über die Schar der potenziellen Schwiegertöchter auf dem zum Heiratsmarkt umfunktionierten Lastwagen-Parkplatz streichen. „Mein Sohn ist sehr schön, und darum sollte das Mädchen für ihn auch sehr schön sein“, erläutert die fröhliche Frau im bulgarischen Stara Sagora ihr Anforderungsprofil. Doch mehr als 5000 Lewa – umgerechnet rund 2500 Euro – könne sie als Brautpreis nicht bezahlen: „Wenn ich das Mädchen in meine Familie aufnehme, muss ich sie schließlich auch ernähren und ankleiden.“

 

Das wachende Auge der Mütter ist immer dabei: Alljährlich zu Beginn des Frühjahrs begeben sich die unverheirateten Männer der bulgarischen Kalderasch-Roma am sogenannten „Todorov-Tag“ auf Brautschau. „Wir halten uns an unsere Tradition und strengen Sitten“, sagt Kesselschmied Kosta, mit 70 Jahren Mitglied des Ältestenrats: „Wir verheiraten unsere Töchter früh mit 15 bis 18 Jahren, damit sie nicht irgendwelche schmutzigen Dinge machen.“ Nur bis zur achten oder neunten Klasse würden die Kalderasch ihre Mädchen auf der Schule lassen, sagt Kosta – und zwirbelt energisch an seinem gefärbten Schnurrbart: „Dort würden sie sonst ihre Unschuld – und den Preis verlieren. Denn wenn es sich erweist, dass eine Braut keine Jungfrau mehr ist, muss ihre Familie den Brautpreis zurückerstatten.“

Auf dem von einem Wellblechzaun abgeschirmten Festgelände bieten Händler kandidierte Äpfel, Fleischklopse und bunte Ballons feil. An den Händen ihrer Mütter tippeln die aufgebrezelten Heiratskandidatinnen durch das Festgemenge. Die gleichgültigen Jungs scheint zunächst eher das Kräftemessen am Jahrmarkt-Boxball zu interessieren. Auf dem Markt hätten die jungen Leute Gelegenheit sich kennenzulernen, erläutert Kosta dessen Sinn. Die Verhandlungen um den Brautpreis würden erst danach beginnen. Wichtigstes Kriterium seien die Schönheit und der Teint: „Für Bräute mit heller Haut muss man mehr bezahlen.“

Der Heiratsmarkt ist nicht mehr die einzige Chance

Unwirsch reagiert eine Mutter, die ihren Namen nicht nennen mag, auf die Frage nach dem erhofften Mann für ihre Tochter. Reißerische Medienberichte, denen zufolge die Kaldarasch für Geld ihre Kinder verkauften, seien „Märchengeschichten“, erbost sich die 45-Jährige aufgebracht. Keineswegs werde auf dem Markt die Entscheidung über den künftigen Schwiegersohn oder Schwiegertochter getroffen, er diene mehr der Traditions- und Kontaktpflege: „Die Partnersuche ist ein langer Prozess, bei dem sich nicht nur der Jungen und das Mädchen, sondern auch deren Familien kennenlernen.“ Vor einer Hochzeit werde eher „zum Spaß“ über den Brautpreis verhandelt. Niemand zahle „wirklich Geld“: „Der ausgehandelte Betrag wird nur symbolisch übergeben.“

Tatsächlich sind die Zeiten, in denen der Heiratsmarkt die einzige Chance zur Kontaktaufnahme war, für die jungen Kaldarasch-Roma längst vorbei. Dank Facebook und Mobiltelefonen könnten die Jungen mit anderen Mädchen kommunizieren, klagt ein ergrauter Alter. Auch die Emigration weiche die strengen Sitten der christlich-orthodoxen Kaldarasch zunehmend auf: „Es gibt immer mehr Fälle, dass die Bräute keine Jungfrauen mehr sind.“ Auch warmes Bier lockert die Zunge. Die Zeiten seien schlecht für sein noch 2000 Familien zählendes Volk, klagt Kosta. Denn nicht nur Brautpreise, sondern auch die Einkommen seien drastisch gefallen. Früher hätten die Kalderasch mit der Herstellung von Kesseln für die Rakija-, und Milchproduktion ein redliches Auskommen finden können. Nun stünden in den Dörfern viele Häuser leer – und brauche niemand mehr Kupferkessel. Auch vom Viehhandel könnten sie sich kaum mehr ernähren, denn „der Traktor hat Esel und Pferd ersetzt“: „Viele müssen inzwischen mit der Sozialhilfe von 120 Lewa (60 Euro) über die Runden kommen.“

Nicht jeder junge Mann kann sich für das von den Eltern eingefädelte Ehe-Glück begeistern

Doch ob reich oder arm, jung oder alt: Für ihren Festtag haben sich die Kaldarasch farbenfroh herausgeputzt. Ihr späterer Mann solle vor allem „normal“ sein, kräht vergnügt die dunkelhaarige Atanaska. Ihre Tochter sei mit zwölf Jahren für eine Heirat zwar noch viel zu jung, sagt ihre Mutter Slatka Iwanowa. Dennoch besuche sie mit ihr schon seit Jahren den Markt: „Wir orientieren uns jetzt schon, wer uns gefallen könnte, wie dessen Familie lebt, wie deren Kinder aufgezogen werden. Wir bereiten die Wahl des Ehemanns sorgfältig vor, sind praktisch ständig in diesem Prozess, um später nicht die falsche Entscheidung zu treffen.“ Sie sei einst mit 17 Jahren für einen Brautpreis von 2400 Lewa (1200 Euro) verheiratet worden, berichtet Slatkas Schwester Witka. Letztendlich sei nicht das Geld entscheidend, sondern die Frage, in welche Familie ihre Tochter komme: „Der Brautpreis ist die Bestätigung, dass die andere Familie an ihr Interesse hat. Würde ich ihre Hand umsonst oder billig vergeben, würde sie in ihrer neuen Familie an Ansehen verlieren.“

Klebrige Zuckerwatte versüßt den Tag. Doch über die Tradition des von den Eltern angebahnten Ehe-Glücks kann sich nicht mehr jeder junge Kalderasch begeistern. Persönlich gefalle ihm das System „absolut nicht“, bekennt Petrenas Sohn Nazgor: „Aber das ist die Tradition, die muss ich respektieren.“ Bei den bisherigen Marktbesuchen habe er allerdings noch kein Mädchen getroffen, das ihm gefallen habe, sagt der 23-Jährige. „Er will sich nur mit anderen Mädchen amüsieren“, erbost sich seine Mutter über dessen stillen Heirats-Widerstand: „Aber mein Sohn muss ein Mädchen aus unserer Gemeinschaft heiraten!“