Das Leonhardsviertel wird verstärkt zum Drogen-Umschlagplatz. Ein Experte sagt: „Es ist mehr Heroin in der Stadt.“ Stark betroffen von dieser Entwicklung ist unter anderem ein Wirt im Viertel, das Züblinparkhaus, aber auch die Jakobschule.

Stuttagrt - Javier Sanz ist ein Gemütsmensch. Er hat die Ruhe gepachtet. Nur beim Thema Drogen wird er ungehalten. Wenn er davon erzählt, wie vor seiner Tapas-Bar „La Casano“ im Leonhardsviertel gedealt wird, schwellen seine Adern am Hals fingerdick an. „Wissen sie“, sagt er mit seinem argentinischen Akzent, „die Sache gerät außer Kontrolle. Und die Polizei macht nix. So langsam wird das geschäftsschädigend.“ Seit dem 10. September hat er geöffnet, aber wie die Dinge liegen, wird er so nicht durchhalten. Die Huren und Freier im Viertel sind nicht sein Problem. Im Gegenteil. Sie sind Kunden. Es sind die Junkies und die Dealer, die vor seiner Tür herumlungern. „Das geht gar nicht“, sagt er und stürzt unvermittelt aus seiner Bar. Ein vermeintlicher Junkie hat an einem seiner Stehtische Platz genommen und dreht sich genüsslich eine Zigarette. Sanz schreit mehrfach „verschwinde!“ und legt den Tabakbeutel des Mannes auf einen Mülleimer. Es fliegen Worte, fast Fäuste. Am Ende trollt sich der Mann. Javier Sanz kommt zurück in die Bar und wirkt geknickt. Wieder murmelt er sein Mantra: „Das geht gar nicht.“

 

Auf dem Schulgelände liegen oft Fixer-Spritzen

Denn direkt vor seiner Bar Ecke Leonhard-/Jakobstraße hat sich ein großer Drogenumschlagsplatz entwickelt. Wobei das Wort Drogenumschlagsplatz die Sache nicht richtig trifft. Zwar machen zwischen der Rückseite des Gustav-Siegle-Hauses und Sanz‘ Lokal die Dealer ihre Geschäfte, aber an die Ware selbst kommt der Junkie auf eine andere Art. Ganz oft am Gelände der Jakobschule. Dort müssten dann die Lehrer die gebrauchten Einmal-Spritzen der Abhängigen fast täglich vom Schulgelände entfernen, heißt es an der Schule.

Sanz erklärt, wie so ein Drogenhandel abläuft. Dealer und Konsument kommen in der Regel mit der Stadtbahn und verschwinden per Bahn in der Regel auch schnell wieder. Vor Sanz’ Lokal kommt es dann zur Kontaktaufnahme und der Geldübergabe. Und jetzt kommt der Clou: Der Drogenkonsument bekommt für sein Geld zunächst keine Ware. Sattdessen nennt der Dealer einen Zahlencode, mit dem sich das Schloss eines Behältnisses öffnen lässt.

Bedeutet: die Polizei kann in diesem Fall nicht zugreifen. Es lieg im Prinzip kein Delikt vor. Die Droge selbst ist in ihrem kleinen Safe oft rund um die Jakobschule in einem sogenannten Bunker versteckt. Manchmal könne man die Drogendepots an einem Schnürchen aus einem Lichtschacht heraufziehen oder irgendwo auf dem Schulgelände finden, berichtet man an der Schule. Die Rektorin der Jakobschule wollte gegenüber dieser Zeitung trotz mehrfacher Nachfrage keine Stellung dazu nehmen. Dabei sind die Zustände längst ein offenes Geheimnis.

Polizei hat das Problem nicht auf dem Radar

Ein Problem sei zudem, heißt es, dass die Jakobschule ab 18 Uhr verwaist ist. Das ist für Junkies eine Einladung. Denn obwohl die Schule videoüberwacht ist, klettern die Drogenabhängigen einfach über den Zaun, holen sich ihren Schuss oder setzen die Nadel direkt dort. „Alleine das ist schlimm genug“, heißt es an der Jakobschule, „aber man darf nicht vergessen, dass der Schulweg vieler Kinder genau auf den Pfaden dieser Drogengeschäfte verläuft.“ Also von der Stadtbahnhaltestelle vorbei am Brunnenwirt und dem Lokal von Javier Sanz über die Jakobstraße bis zur Schule.

„Es ist eine Schande, dass hier tagtäglich Drogen verkauft werden“, sagt Javier Sanz und hofft, dass die Polizei dem Problem Herr wird.“ Die muss ihn zunächst enttäuschen. „Uns liegt bisher nichts vor“, sagt ein Polizeisprecher. Die Ordnungshüter hätten die Problematik rund um das Gustav-Siegle-Haus aktuell nicht auf der Rechnung.

Ganz anders Veronika Kienzle. Die Bezirksvorsteherin Mitte hat – wie so oft – das Ohr an der Bürgerschaft. Alleine in der vergangenen Woche war sie intensiv mit der neuen Problematik beschäftigt. Mit Koordinatoren der Stadt und der Caritas traf sie sich zu zwei Lokalterminen an den Brennpunkten: Neben dem Platz vor Javier Sanz‘ Lokal sollen auch das Dach des Züblin-Parkhauses und die Wächterstaffel im Drogensumpf versinken.

„Wir sind da dran“, sagt Kienzle. In ihrer langjährigen Erfahrung als Bezirksvorsteherin habe sie in Sachen Drogenmilieu immer wieder Wellenbewegungen erlebt. Nun sei eben wieder ein temporärer Höhepunkt erreicht, dem man begegnen müsse.

Zum Beispiel durch verstärkte Überwachung. Das bestätigt Klaus Obert von der Caritas, der sich mit Veronika Kienzle die Brennpunkte angeschaut hat: „Es ist sicherlich so, dass durch die Flüchtlingsbewegungen mehr Heroin in der Stadt anzutreffen ist. Infolge dessen hätte sich in der Umschlag von Drogen sowie deren Konsum auf viele Parkhäuser in der Stadt verlagert – nicht nur auf das Züblin-Parkhaus. „In dieser eher anonymen Umgebung“, so Obert, „halten sich Dealer und Betroffene gerne auf.“

Daher soll das Parkhaus nun intensiver überwacht werden. Bisher bezahlt die Stadt diesen Wachdienst rund um die Caritas-Drogen-Kontaktstelle „High Noon“ in der Lazarettstraße 8. Allerdings nur für den Zeitraum von 9.30 Uhr bis 11.30 Uhr – und in einem sehr engen Radius. Die Jakobschule fällt nicht in den Bereich des Überwachungsgebietes. Auch der Bereich vor Javier Sanz‘ Tapas-Bar gehört nicht dazu. Sanz meint dazu nur: „Das geht gar nicht.“