Neun Monate ist es her, dass Breuninger seine Goldbach-Quartierspläne für den Sindelfinger Osten vorgestellt hat. Das Hurra war groß. Nun mehren sich bei Gemeinderäten kritische Stimmen. Sie wollen sich den „Masterplan“ in Ruhe anschauen.

Sindelfingen - Als die Stuttgarter Firma Breuninger im Juli 2020 visionäre Pläne für ein neues Goldbach-Quartier rund ums Breuningerland vorstellte, gab es hocherfreute Reaktionen. Von einem „Coup“ war in Stadtverwaltung und Kommunalpolitik die Rede. Gold sei es wert, das Goldbach-Vorhaben. Nun, acht Monate später, ist bei vielen Sindelfinger Gemeinderäten die Euphorie spürbar gedämpft. Das hat die Diskussion im Technischen Ausschuss zuletzt gezeigt. „Fragen über Fragen“ gebe es, hieß es. Und es sei noch sehr viel zu klären.

 

Entzündet hat sich die Debatte an einem eigentlich simplen Vorgang. Weil es für das Areal des Breuningerlands und sein Umfeld keinen gesicherten Bebauungsplan gibt, wollte die Verwaltung dafür die Voraussetzungen schaffen; also das rechtliche Prozedere dafür in Gang bringen. „Eigentlich wollen wir von Ihnen nur die Zustimmung, um diese Fläche außen herum einen Kringel zu machen“, sagte Baubürgermeisterin Corinna Clemens. Doch ihr Appell - „softer kann man gar nicht beginnen“ - fruchtete nicht. Praktisch durch die Bank und über alle Fraktionen hinweg kam Ablehnung. Mehr als eine „erste Lesung“ des Themas wolle man nicht. Ein Sinneswandel? Nicht unbedingt. Aber doch ein Perspektivwechsel.

500 Millionen als Standortbekenntnis

Im Hintergrund mag vieles dafür eine Rolle spielen. Als Breuninger seinerzeit die ambitionierte Investition in Höhe von einer halben Milliarde Euro vorstellte, war man mitten im Corona-Krisen-Modus. Der Daimler schwächle, kursierten Schreckensvisionen in der Stadt. Da sei so ein Standortbekenntnis eines örtlichen erfolgreichen Players ganz wichtig. Mittlerweile ist Corona immer noch da; und so manche dadurch noch beschleunigte Entwicklung auch. Beispielsweise die Tatsache, dass Homeoffice sich weithin verbreitet hat. Oder dass Geschäftsreisen(de) deutlich weniger geworden sind. Es war auch ein Positionspapier des Gewerbe- und Handelsvereins Sindelfingen (GHV), das diesbezüglich im November 2020 nochmals vielen die Sinne geschärft hat.

So lehnen etwa der GHV-Vorsitzende und CDU-Gemeinderat Hermann Ayasse, sein GHV-Kollege Robert Klotz, aber beispielsweise auch die Grüne Sabine Kober ein von Breuninger geplantes Hotel kategorisch ab. Sindelfingen habe bereits jetzt, wo noch weitere zwei, drei Hotels in Planung oder genehmigt sind, unausgelastete Betten-Kapazitäten. Es sei damit zu rechnen, dass da bald eines auf der Strecke bleibe.

Auch hinter tausende Quadratmeter neuer Büroflächen (für mutmaßlich tausende neuer Arbeitsplätze) setzen Kommunalpolitiker ein Fragezeichen. Sindelfingen habe jetzt schon, besagen Immo-Berichte, enorme Büro-Leerstände. „Allein im Bitzerturm stehen 6000 Quadratmeter leer“, sagte Hermann Ayasse. Das vertrage keine weiteren Bürokomplexe, wie sie Breuninger in seiner Planung hat. Dort erstrecken sich Bürogebäude einmal um die Tilsiter Straße herum, der Bogen im Süden des Breuningerlands.

Die Sorge um die Innenstadt bleibt

Dessen Erweiterung um 10 000 Quadratmeter Richtung Westen, möglich durch eine Aufgabe der Logistik, ist kein Thema mehr. Was jahrelang umstritten war, dann zur Freude vor allem auch der Stadtspitze höchstrichterlich genehmigt wurde, ist nun Fakt. Sorge um die Zukunft der Innenstadt bleibt aber nach wie vor. So eine Erweiterung sei die Größenordnung von 20 bis 25 Ladengeschäften, meinte etwa Johannes Mescher, vormaliger Baubürgermeister und sachkundiger Einwohner im Ausschuss. Er befürchtet negative Auswirkungen auf die Innenstädte von Böblingen, Sindelfingen und darüber hinaus. Dass Breuninger vorhat, riesige Parkplatzflächen zu entsiegeln und zwischen Schwertstraße und Goldbach 900 Wohnungen zu bauen – das kommt im wohnraumknappen Sindelfingen einerseits gut an.

„Aber sind das Wohnungen, die sich normale Menschen leisten können?“, fragt sich nicht nur Richard Pitterle von den Linken. Wie überhaupt so mancher die Grundsatzfrage stellt, ob Wohnen – letztlich – in einem Gewerbegebiet das sei, was man dort wolle. Gleichzeitig seien einige Sindelfinger Gewerbetreibende und Handwerksbetriebe auf Flächensuche und würden mangels Perspektive die Koffer packen. Produzierendes Gewerbe, so Hermann Ayasse, sei hier besser aufgehoben.

Clemens: Wollen keine Abschottung

Wie berichtet, wird es für das Breuningerland (aber auch Hofmeister & Co.) künftig eine eigene Autobahn-Abfahrt geben. Aber hier sind noch verkehrstechnische Fragen offen, hieß es im Ausschuss. Und auch die geplanten Freizeiteinrichtungen im Goldbach-Quartier seien zwar schön, sagte Richard Pitterle: „Aber darf die dann jeder nutzen? Diese Einrichtungen müssen öffentlich bleiben, nicht dass wie in den USA Private das Hausrecht haben.“ Baubürgermeisterin Corinna Clemens sieht das auch so: „Wir wollen keine Gated Community“, so ihre Replik. Der Stadt sei aber an einer „Aufwertung des Ostens gelegen“, verteidigt sie die Breuninger-Vorhaben. Deren Mischungspläne seien „der Clou an dem zukunftsfähigen Projekt“, und diesen Mut bewundere man daran – wie auch die Überlegung Breuningers, sich damit für die IBA 2027 zu bewerben.

Dass die Bürgerschaftsvertreter Antworten auf ihre zahlreichen Fragen haben wollten - das sehe sie ein. Eine davon ist auch die Frage nach Offenhaltung der Frischluftschneise den Goldbach entlang. Oder auch die Nähe des jetzigen Parkhauses, das durch den Wegfall von Parkraum aufzustocken ist. Das, wunderte sich Freie-Wähler-Chefin Ingrid Balzer, rücke bis auf fünf Meter an den Bachlauf heran.