Die britische Regierung verschiebt die Abstimmung zum Brexit-Abkommen im Parlament. Im letzten Moment machte die britische Premierministerin Theresa May einen Rückzieher.

London - Die Abstimmung über das Brexit-Abkommen im britischen Parlament wird verschoben. Das sagte Premierministerin Theresa May am Montag vor den Abgeordneten in London. Der Termin war ursprünglich für Dienstagabend angesetzt. Wann die Abstimmung stattdessen abgehalten werden soll, war zunächst unklar.

 

May will nun mit ihren Amtskollegen aus den EU-Staaten und den Spitzen der Europäischen Union nachverhandeln. Doch die Rufe nach einem Rücktritt der Regierungschefin und nach einem zweiten Brexit-Referendum werden immer lauter.

Grund für den Schritt sei der sich abzeichnende Widerstand im Parlament gegen den sogenannten Backstop im Brexit-Abkommen, sagte May. „Als Resultat würde der Deal mit großem Abstand abgelehnt werden, wenn wir morgen fortfahren und die Abstimmung abhalten würden.“ Mit dem Backstop soll verhindert werden, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit wieder Grenzkontrollen eingeführt werden. In diesem Fall würde ein Wiederaufflammen des Konflikts in der Ex-Bürgerkriegsregion befürchtet.

May will nun vor dem EU-Gipfel Ende der Woche mit ihren Amtskollegen aus der EU und den Spitzen von Kommission und Europäischem Rat die „klaren Bedenken“ des Parlaments diskutieren. Aus Brüssel hatte es am Montag jedoch die klare Ansage gegeben, dass es keine Nachverhandlungen des Abkommens geben wird.

Schottland kritisiert die Entscheidung

„Dieser Deal ist der beste Deal und der einzige mögliche Deal“, bekräftigte eine Kommissionssprecherin in Brüssel. „Wir werden die Vereinbarung, die jetzt auf dem Tisch liegt, nicht nachverhandeln.“

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bezeichnete die Entscheidung, die Abstimmung zu verschieben, als „erbärmliche Feigheit“. Die konservative Regierungspartei stelle damit ihre eigene Interessen über die des Landes, so Sturgeon. Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, forderte May auf, entweder beim Abkommen nachzuverhandeln oder eine Neuwahl auszurufen. „Wir haben keine funktionierende Regierung“, so Corbyn.

Großbritannien will in weniger als vier Monaten - Ende März 2019 - aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. Sollte bis dahin kein Abkommen ratifiziert sein, droht ein ungeregelter Austritt aus der EU mit chaotischen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche.

Etwa 100 der 315 Abgeordneten aus Mays Konservativer Partei hatten angekündigt, das vorliegende Brexit-Abkommen nicht zu unterstützen. Viele von ihnen fürchten eine zu starke Bindung an die EU. Auch die nordirische DUP, auf deren zehn Stimmen Mays Regierung im Parlament angewiesen ist, kündigte Widerstand an. Sie lehnt Sonderregelungen für Nordirland ab. Von der Opposition darf sich May ebenfalls keine Unterstützung erhoffen. May braucht mindestens 320 Ja-Stimmen, um den Deal sicher durch das Parlament zu bringen.

Über zweites Brexit-Referendum wird spekuliert

Mays Posten als Premierministerin wackelt mehr denn je. Britischen Medien zufolge stehen mehrere Politiker als mögliche Nachfolger in der Startposition, darunter Innenminister Sajid Javid und Ex-Außenminister Boris Johnson, einer der größten Widersacher Mays. „Wir können nicht so weitermachen wie jetzt“, sagte einer der schärfsten Kritiker, der Tory-Politiker Jacob Rees-Mogg. „Die Premierministerin muss entweder regieren oder aufgeben.“

Neben Nachverhandlungen mit Brüssel wird in Großbritannien auch über ein zweites Brexit-Referendum spekuliert. Beim ersten Referendum 2016 hatte sich nur eine knappe Mehrheit der Briten für die Löslösung von der Europäischen Union ausgesprochen.

Denkbar ist auch ein Rückzieher vom Brexit. Die Schwelle dafür ist niedriger als gedacht, wie aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg hervorgeht. Großbritannien könnte demnach den Brexit einseitig und ohne Zustimmung anderer EU-Länder stoppen. Die britische Regierung erklärte umgehend, das spiele keine Rolle.

Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell darüber informiert, dass das Land die EU verlassen will. Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit genau zwei Jahre später am 29. März 2019 endet. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH argumentiert, das Verfahren lasse sich nur mit einem einstimmigen Beschluss des Rats stoppen.