Während Premierministerin Theresa May innerhalb ihrer Partei versucht, Gegner und Befürworter des Brexits auszusöhnen, kommen die Verhandlungen mit der EU nur schwer voran.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die Zeit wird knapp. Eigentlich wollten die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten schon bei ihrem Gipfel im Herbst über die Dokumente sprechen, die den Austritt Großbritanniens aus der EU besiegeln und die Zukunft zwischen London und Brüssel regeln. Doch die Verhandlungen sind nach wie vor zäh. Inzwischen heißt es, frühestens Mitte November könne man fertig sein. In Brüssel wird daher schon über einen Sondergipfel Ende November spekuliert. Der Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, ist allerdings strikt dagegen, die Verhandlungen über Mitte November hinaus auszudehnen. Der Franzose sagt: „Wir brauchen nicht mehr Zeit. Was wir brauchen sind politische Entscheidungen.“

 

Der Ball für politische Entscheidungen liegt im Vereinigten Königreich. Die britische Premierministerin Theresa May kämpft gegen enorme Widerstände in ihrer Partei. Die Widersacher kommen von zwei Seiten: Ihr früherer Außenminister und Anhänger eines harten Brexits, Boris Johnson, wirft ihr vor, zu zahm zu verhandeln. Auch die Proeuropäer in ihrer Partei, etwa Finanzminister Philipp Hammond, kann sie nicht zufriedenstellen.

Mays Sturz durch Parteifreunde wird seit vielen Monaten vorausgesagt. Ob die Regierungschefin den Parteitag ihrer Torys Ende September übersteht, ist noch lange nicht sicher. Mit einer taumelnden Regierung zu verhandeln ist für die EU schwierig. Nachdem der britische Chefunterhändler David Davies abgelöst wurde, musste sich das Verhandlungsteam der Kommission etwa kürzlich auf seinen Nachfolger Dominic Raab einstellen.

Inhaltlich hakt es noch an zwei wichtigen Stellen

Die Briten wollen die EU am 29. März verlassen. Verabredet ist bisher, dass das Land aber noch für eine Übergangszeit bis Ende 2020 in der EU bleibt und alle Pflichten eines Mitgliedslandes hat, aber nicht mehr mitbestimmen kann. Die Zeit bis März wird benötigt, damit das Europaparlament und die nationalen Parlamente den Verträgen über den Ausstieg noch zustimmen können.

80 Prozent des Austrittsabkommens ist laut Informationen aus der EU-Kommission fertig. Inhaltlich hakt es aber noch an zwei wichtigen Stellen. Zum einen ist dies die Irland-Frage. Beide Seiten sind sich einig, dass sie eine harte Grenze zwischen Nordirland und der irischen Republik, die weiter Mitglied der EU bleiben wird, vermeiden wollen. Die EU hatte London vorgeschlagen, dass die nordirische Provinz, die Teil des Vereinigten Königreiches ist, Teil der EU-Zollunion bleiben soll. Damit wären an der inneririschen Grenze keine weiteren Kontrollen nötig. London lehnt ab.

Die britische Regierung befürchtet, dass mit der von der EU vorgeschlagenen Lösung die nordirischen Loyalisten nicht zufrieden wären. London schlägt Brüssel stattdessen vor, im Auftrag der EU in Nordirland Zölle auf Güter zu erheben und einzutreiben und sie an die EU weiterzuleiten, wenn die Güter weiter in die EU transportiert würden. Damit ist Barnier nicht einverstanden. „Wir können nicht die Kontrolle unserer Außengrenzen an einen Drittstaat abgeben“, lautet seine Botschaft.

Ein Austritt aus der EU und ein Verbleib im Binnenmarkt sind unmöglich

Der zweite heikle Punkt sind die künftigen Handelsbeziehungen nach dem Brexit. Der sogenannte Chequers-Plan, den May vorgelegt hat und mit dem sie Kritiker und Befürworter eines Brexits aussöhnen will, sieht dafür vor: Güter sollen wie bisher ohne Kontrollen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gehandelt werden können. Hier will sich Großbritannien den Bedingungen des EU-Binnenmarktes weiterhin fügen. So sollen die befürchteten Staus bei den Zollkontrollen am Ärmelkanal sowie die daraus folgenden Nachteile für die britische Industrie verhindert werden. London will sich also nur auf dem Dienstleistungssektor von der EU abkoppeln.

Brüssel lehnt das ab. London könne sich nicht die Rosinen herauspicken. Ein Austritt aus der EU und gleichzeitig ein Verbleib im Binnenmarkt seien nicht möglich. „Das wäre das Ende des europäischen Projekts“, sagt Barnier und hat dafür die Unterstützung von den Regierungen in den anderen 27 Hauptstädten. Barnier schlägt eine enge Kooperation vor und regt dafür ein umfassendes Handelsabkommen an, wie die EU es etwa gerade mit Kanada und Südkorea abgeschlossen hat. Es sei eine „ambitionierte Partnerschaft“ denkbar, wie es sie mit einem Drittstaat noch nicht gegeben hat. Abgesehen vom Handel könne es eine enge Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit, Außenpolitik, Verteidigung, Polizei und Justiz, Forschung und Verkehr geben.