Noch bis Ende 2020 soll über die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien verhandelt werden. Dann soll ein Freihandelsabkommen unter Dach und Fach sein. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut regt schon jetzt eine Verlängerung dieser Frist an.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Wir hoffen, dass wir weiter so produzieren können wie bisher“, sagt Klaus Winkler. „Sonst muss alles nochmals auf den Prüfstand“, kündigt der Vorsitzende der Heller-Gruppe an. Seit 46 Jahren produziert der Maschinenbauer aus Nürtingen auch in einem Vorort von Birmingham – und erst im vergangenen Jahr wurde die Produktion dort ausgebaut. Künftig sollen dort jedes Jahr 200 bis 300 Maschinen hergestellt werden – der überwiegende Teil für den Export in die Europäische Union. „Wie wir in Großbritannien weitermachen, hängt davon ab, welche Regelungen für den Handel mit der EU in der Übergangszeit gefunden werden“, erklärt er.

 

Der Brexit hat für die Maschinenbauer aus dem Südwesten schon 2019 seine Schatten vorausgeworfen: Von Januar bis November 2019 haben diese nach den Angaben des Branchenverbandes VDMA Maschinen und Anlagen im Wert von 1,4 Milliarden Euro nach Großbritannien exportiert – ein Rückgang um neun Prozent. Zu spüren war dabei bereits die Zurückhaltung von Investoren auf der Insel. Insgesamt aber nahmen die Exporte aus Baden-Württemberg von Januar bis November um etwas mehr als fünf Prozent auf 9,8 Milliarden Euro zu. Britische, aber auch deutsche Unternehmen, die im Vereinigten Königreich tätig sind, haben mit Blick auf den Brexit nochmals ihre Lager gefüllt.

Insel auf Platz sechs bei den Südwest-Exporten

2018 wurden nach Angaben des Statistischen Landesamtes im gesamten Jahr Waren für etwas mehr als zehn Milliarden Euro dorthin geliefert. Dies waren etwa fünf Prozent der gesamten Ausfuhren aus dem Südwesten nach Großbritannien. Das Inselreich steht damit auf Platz sechs der wichtigsten Ausfuhrländer. Zum Vergleich: In die USA gingen mehr als zwölf Prozent der Exporte. Vor allem Autos und Maschinen, aber auch pharmazeutische Erzeugnisse waren in Großbritannien gefragt.

Für die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut sind die engen Verflechtungen Anlass genug, auch weiter nach Möglichkeiten für eine künftige Zusammenarbeit etwa zwischen britischen und südwestdeutschen Firmen, aber auch mit Regierungsstellen zu suchen. Eine Gesprächsrunde soll sich bereits am Montag mit dem Thema beschäftigen. „Eine komplette Abkopplung des Vereinigten Königreichs von der EU ab 2021 würde für unsere Unternehmen schwerwiegende Handelshemmnisse mit sich bringen“, meint Hoffmeister-Kraut.

Wirtschaft will rasch Klarheit

Dringend sei deshalb „eine schnelle Verständigung auf ein umfassendes Freihandelsabkommen“, meint die Wirtschaftsministerin. In dieselbe Kerbe schlagen auch die Industrie- und Handelskammer Stuttgart, der Landesverband der Industrie, die Organisation Arbeitgeber Baden-Württemberg und der Maschinenbauverband VDMA – sie alle hoffen nun auf ein Freihandelsabkommen. Verhindern soll dieses Zölle, Zollbürokratie, Verzögerungen bei Lieferungen, aber auch unterschiedliche Standards auf beiden Seiten des Ärmelkanals.

„Die Gefahr eines harten Brexits ist noch nicht vom Tisch“, heißt es beim Landesverband der Industrie und beim Arbeitgeberverband. „Die Engländer sind mit der Regierung Johnson unberechenbar“, sagt Johannes Schmalzl, der Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart. Angesichts der engen wirtschaftlichen Beziehungen regt Hoffmeister-Kraut an, die zwischen EU und Großbritannien vereinbarte Verhandlungsphase über das laufende Jahr hinaus zu verlängern. Sie plädiert dafür, „eine solche Verlängerung nicht von vornherein auszuschließen“.

Bosch erwartet Hochdruck bei Verhandlungen

Der Motorsägen- und Gartengerätehersteller Stihl bedauert den Brexit, will aber auch in Zukunft weiter auf der Insel investieren. Großbritannien gehört zu den zehn wichtigsten Märkten des Waiblinger Unternehmens. „Jetzt erst recht“, lautet die Devise von Vertriebsvorstand Norbert Pick. „Wir investieren in den Ausbau unserer britischen Vertriebsgesellschaft mehrere Millionen Euro“, sagt Pick. Um auch für einen harten Brexit gewappnet zu sein, hat Stihl bereits „zusätzliche Lagerkapazitäten angemietet“.

Für Bosch ist Großbritannien ebenfalls ein wichtiger Standort. Dort werden Anlagen für die Heiztechnik von rund 5000 Mitarbeitern gefertigt – bei einem Umsatz von rund 3,7 Milliarden Euro. Auch das Stuttgarter Unternehmen hofft nun darauf, dass die Verhandlungen in den nächsten elf Monaten „mit Hochdruck“ vorangetrieben werden.

Trumpf produziert für den Weltmarkt

Im Wärmetechnik-Markt ist auch die Firma Sailer aus Ehingen aktiv. Die Kunden des Unternehmens mit 50 Mitarbeitern sind Installateure und Händler. Schon im Jahr 2019 hatte Sailer aber den Rückzug eingeleitet: „Es gibt noch ein paar laufende Projekte, aber wir fangen nichts Neues mehr an“, sagt Geschäftsführer Andreas Heinzl. Hoffnungen hatte sich der Spezialist für Energiespeicherung vor allem mit Blick auf den Ausbau der alternativen Energien in Großbritannien gemacht.

Natürlich wäre auch der Ditzinger Maschinenbauer Trumpf etwa von höheren Zöllen betroffen. Doch für sein englisches Unternehmen, in dem spezielle Lasermaschinen hergestellt werden, spielt der Brexit keine größere Rolle. „Der Großteil dieser Laser geht auch heute bereits an Kunden außerhalb der EU“, so ein Sprecher.