Während in Großbritannien 50 000 Corona-Tote verzeichnet werden, führen in der Regierungszentrale die Top-Berater von Boris Johnson einen Kleinkrieg. Nun treten zwei wichtige Brexit-Strategen zurück.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Heftige Turbulenzen in der britischen Regierungszentrale und wachsende Unruhe im Lager der Tory-Abgeordneten kennzeichnen die aktuelle Lage in London – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die Zahl der Corona-Toten im Lande eine deprimierende neue Rekordmarke überschritten hat. Dominic Cummings, der wichtigste Berater von Premierminister Boris Johnson, kündigte am späten Donnerstagabend im Gespräch mit der BBC an, sich bis Weihnachten „weitgehend“ zurückzuziehen. Damit geht der wichtigste Brexit-Stratege, der auch als „Boris Brain“, also Boris Johnsons Gehirn, bezeichnet wurde.

 

Regierungsangaben zufolge sind seit Beginn der Pandemie im Vereinigten Königreich nun mehr als 50 000 Menschen nachweislich an der Virus-Erkrankung gestorben. Das ist die höchste Zahl an Opfern in Europa und die fünfthöchste der Welt. Inmitten dieser anhaltenden schweren Krise und des gegenwärtigen zweiten Lockdown auf der Insel sind Premierminister Boris Johnson und seine Amtsführung erneut scharf kritisiert worden. Keir Starmer, der britische Oppositionsführer, fragte am Donnerstag, „warum um Himmels willen“ Johnsons engste Berater in Downing Street miteinander Krieg führen, statt endlich eine klare Strategie gegen die Pandemie zu entwickeln.“

Lee Cain sollte Stabschef von Johnson werden – und stürzt tief

Anlass zu dieser Kritik gab zunächst das an die Öffentlichkeit gelangte bittere Ringen um Einfluss und um das Ohr des Premierministers in der Regierungszentrale. Johnsons Kommunikations-Direktor Lee Cain, der geglaubt hatte, dass der Premier ihn zu seinem Stabschef machen würde, fand sich bei seinem Sprung an die Spitze von Ministern und wichtigen Tory-Parlamentariern blockiert. Unter anderem half offenbar auch Johnsons Verlobte Carrie Symonds, eine frühere Kommunikations-Expertin der Tories, die Ernennung Cains zu verhindern. Cain kündigte daraufhin seinen Abgang an.

Das führte zu unmittelbaren Spekulationen, dass auch Johnsons Chef-Berater Dominic Cummings, der bisher wichtigste Kopf in der Zentrale, sein Amt niederlegen würde. Denn Cain hatte Cummings seinerzeit den Weg geebnet. Er gehörte wie Cummings der Vote-Leave-Kampagne an. Diese führte 2016 den erfolgreichen Feldzug für den Brexit, dessen Galleonsfigur Boris Johnson wurde.

Muss jetzt auch Dominic Cummings gehen?

Cain galt immer als enger Alliierter von Cummings. Er stand aber auch Johnson nah und beriet diesen schon, als er noch Außenminister war. Cains und Cummings eigenwillige Aktionen und radikale Ideen zur Umgestaltung der britischen Gesellschaft, ebenso wie ihre betonte Geringschätzung gewählter Volksvertreter, trugen ihnen zunehmend Unmut im Regierungslager ein.

Mit seinem Stabschefs-Angebot an Cain, das er letztlich wieder zurückzog, verstärkte Premier Johnson den Eindruck eines wirren Kurses, wie ihn seine Kritiker schon seit Beginn der Pandemie beklagen. Insider berichten von unklaren politischen Vorgaben und von anhaltenden Richtungskämpfen in Downing Street No 10. Die Financial Times zitierte gestern einen hohen Staatsbeamten mit den Worten: „Da drinnen fällt alles auseinander. Es ist noch viel schlimmer, als die Außenwelt annimmt. Und das mitten in einer Pandemie. Eine Schande ist das.“

Charles Walker, Vize-Sprecher der Tory-Hinterbänkler in Westminster, räumte ein, dass viele seiner Kollegen „seit längerem schon mit der Arbeitsweise unglücklich waren“. Vor allem fühlten sich Parlamentarier vom Prozess der Entscheidungsfindung ausgeschlossen: „Ein Geheimnis ist das nicht.“ Sie haben sich daher nun zu Aktionsgruppen zusammen geschlossen, um wieder Einfluss zu nehmen.