Die erste Etappe des Brexit gewinnt die EU. Großbritannien musste erst einmal klein beigeben. Doch der Prozess wird dadurch nicht einfacher, meint der Brüssel-Korrespondent Markus Grabitz.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Damit konnte niemand rechnen. Als im Juni vor einem Jahr eine knappe Mehrheit der Briten für den Austritt stimmte, war die EU angezählt. Die Bürger wandten sich von dem Gemeinschaftsprojekt ab. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, dass auch andere Nationen Brüssel den Rücken kehren würden. Die Niederländer, die Dänen oder gar die Franzosen. Wer ist der nächste?, fragten sich bang viele in Brüssel.

 

Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Die EU hat wieder Wind unter den Flügeln. Es ist Brüssel gelungen, in eine Position der Stärke zu kommen. Eine maßgebliche Rolle dabei haben die Brexit-Verhandlungen gespielt. Im Laufe der Monate wurde für die Menschen in der gesamten EU offensichtlich, dass das Vereinigte Königreich nichts mit dem Brexit gewinnen kann. Viele Unternehmen wenden sich ab, die Immobilienpreise fallen, Mittelklassebürger bangen um die Zukunft ihrer Kinder. Und außenpolitisch wird der Einfluss auch nicht größer.

Kluge Verhandlungsführung der EU

Der Stimmungsumschwung ist auch der klugen Verhandlungsführung der EU geschuldet. Die EU steht plötzlich als starker Spieler da. Sie ist im Angesicht der kläglich zerstrittenen und konzeptlosen Regierung in London geeint und endlich einmal nicht gespalten. Sie hat einen glänzenden Verhandlungsführer Michel Barnier, der nach der ersten Etappe als Sieger im Brexit-Poker dasteht und sich für höhere Aufgaben in Brüssel empfiehlt. Er hat London das Drehbuch der Verhandlungen aufgezwungen. Die Briten wollten am liebsten sofort über ein Handelsabkommen verhandeln. Er hat es nicht zugelassen, sondern erst die Trennung abgewickelt.

Es ist nicht lange her, da tönte der Brite Boris Johnson, London werde gar nichts zahlen. Jetzt zahlen die Briten sogar noch über ihren Austritt hinaus. Die Briten wollten den verhassten Europäischen Gerichtshof los werden? Jetzt werden sich britische Gerichte noch acht Jahre nach dem Brexit seinen Urteilen beugen müssen. Großbritannien könnte vor dem Zerfall stehen, wenn Nordirland die Sonderregelung bekommt, in Zollunion und Binnenmarkt bleiben kann, und Schottland und Wales dies auch für sich beanspruchen.

Vieles ist noch vage

London hatte lange gezockt und versucht, die Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen. Jetzt konnten die Briten nicht mehr weiter pokern. Auf der Insel ansässige Großunternehmen hatten die Notfallpläne für den Fall eines ungeordneten Brexit schon in der Schublade. Eine massive Abwanderung von Betrieben hätte eingesetzt. Dieses Szenario konnte die britische Premier Theresa May nicht riskieren. Deswegen hat sie eingelenkt.

Der Scheidungsdeal ist nicht so perfekt, wie ihn Brüssel jetzt darstellt. Bei der Zukunft Irlands etwa ist viel im Vagen. Es ist nach wie vor nicht absehbar, wie Zollhäuschen zwischen der Republik und der Nordprovinz vermieden werden und gleichzeitig Nordirland aus Binnenmarkt und Zollunion ausscheiden könnte. Und es stimmt: Für Euphorie gibt es keinen Anlass. Der schwierigere Part der Verhandlungen, in dem es um die Zukunft geht, kommt erst noch. Da steigt das Risiko, dass sich Risse im Lager der 27 zeigen und einzelne Regierungen ausscheren in der Hoffnung, dem eigenen Land Vorteile zu verschaffen.

Dazu darf es nicht kommen. Den britischen Bürgern, die es noch nicht begriffen haben, muss in den nächsten Monaten deutlich gemacht werden, dass der Austritt aus der EU harte negative Konsequenzen hat. Universitäten bekommen keine Forschungsgelder mehr aus Brüssel, um ihren Ruf aufzuhübschen. Wer die Annehmlichkeiten einer europaweiten Sepa-Überweisung bekommen will, der muss künftig dafür bezahlen, wird aber nicht mitbestimmen dürfen, wie das Kleingedruckte dabei aussieht. Diese Rigorosität ist das beste Konzept gegen Nachahmer des Brexit.