Ende Juni wird sie zum ersten Mal Mutter. Nebenbei muss Bridget Breiner ihre letzte Spielzeit als Tanzchefin in Gelsenkirchen und ihre erste als Ballettdirektorin in Karlsruhe vorbereiten. Bei einem Gastspiel in Ludwigsburg kann man einen Blick auf die aktuelle Arbeit der ehemaligen Stuttgarter Tänzerin werfen.

Stuttgart - Eine dreifache Herausforderung, und dabei gelassen bleiben: Dazu gehört eine ordentliche Portion Selbstvertrauen und Zuversicht. Ende Juni wird Bridget Breiner Mutter eines Sohnes, und das in einer Zeit, in der die Vorbereitungen für die kommende Spielzeit am Musiktheater im Revier laufen und gleichzeitig ein Konzept für das Badische Staatsballett erarbeitet werden soll, dessen Direktorin die Ex-Ballerina des Stuttgarter Balletts von der Spielzeit 2019/20 an werden soll.

 

„Man wird sehen“, sagt Bridget Breiner. Sie hat die Ruhe weg. Schließlich waren auch ihre Anfänge 2012 in Gelsenkirchen alles andere als einfach. „Damals hatte ich nicht die geringste Leitungserfahrung. Und außerdem war ich seinerzeit ja auch noch als Tänzerin aktiv.“ Das ist eine Rolle, in der sich die Amerikanerin aus Connecticut in Karlsruhe nicht unbedingt mehr sieht. „Ich habe fünfeinhalb Jahre gut durchgehalten damit“, meint sie. „Doch jetzt, denke ich, ist der Zeitpunkt gekommen, andere Prioritäten zu setzen. Was nicht heißen muss, dass ich eine Rückkehr auf die Bühne kategorisch ausschließe. Falls sich eine Partie ergibt, die auch zeitlich zu mir passt: warum nicht? Aber ich möchte die Energie und Imagination besitzen, um sie richtig zu erfüllen, und nicht bloß reagieren.“

Als Tänzerin eine Ausnahmeerscheinung

Es wäre schade, wenn es dazu nicht mehr käme; schließlich war Bridget Breiner in München, Dresden und vor allem in Stuttgart eine Ausnahmeerscheinung, eine ungemein intensive, reife, schöne, alle Facetten einer Rolle erfassende Interpretin. Realitätsverlust mag sie sich in keiner Weise nachsagen lassen. Nicht als Tänzerin. Nicht als Direktorin. Nicht als Choreografin. Obwohl überaus erfolgreich am Ballett im Revier und für das Aschenputtel-Ballett „Ruß“ und ihr Stück „Charlotte Salomon: Der Tod und die Malerin“ gleich zwei Mal mit dem Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet, ist ihr durchaus bewusst, dass ihrer Arbeit in Gelsenkirchen Grenzen gesetzt sind. Durch die Größe des Ensembles, durch die Größe des Theaters, selbst wenn dieses dank Yves Klein zu den schönsten in ganz Deutschland gehört: „Ich hatte hier zuletzt das Gefühl, einen Schritt weitergehen zu müssen, um meine Tänzer zu entwickeln und damit auch mich als Choreografin“, räumt sie auf Nachfrage ein. „Karlsruhe hat genau die richtige Größe für meinen Arbeitsprozess: Ich kann auf jeden Tänzer so eingehen, wie ich das in Gelsenkirchen gewohnt war. Gleichzeitig erlaubt es mir größere Produktionen und gibt uns die die Sicherheit mit Mehrfachbesetzungen.“

Sie hat Crankos Julia noch immer tief verinnerlicht

Es ist bewundernswert, wie Bridget Breiner gleichwohl mit einem 14-köpfigen Ensemble einem so großen Ballett wie Prokofjews „Romeo und Julia“ neue Aspekte abgewinnen kann. Zu sehen ist ihre neue Produktion an diesem Samstag und Sonntag bei einem Gastspiel ihrer Kompanie in Ludwigsburg. In Stuttgart hat sie seinerzeit die weibliche Hauptrolle getanzt – so wie sie das auch in „Schwanensee“, „Onegin“ oder in Neumeiers „Kameliendame“ getan hat.

Man sieht Breiners Choreografie an, dass sie Crankos Julia noch immer tief verinnerlicht hat. Und doch ist ihre Version ganz anders. Bei Breiner gibt es einen Prolog, der das Ganze ins Allgemeingültige wendet. Getanzt wird in einem Bühnenbild von Jürgen Kirner, das zeitlos wirkt, wandelbar – und das doch auch an Tatlins „Turm“ erinnert, also an den russischen Konstruktivismus, mit dem die Musik korrespondiert. Der größte Unterschied liegt aber in jener schicksalhaften Figur, die Bridget Breiner „Chorus“ nennt. Immer wieder taucht sie auf, als ob sie das kämpferische Geschehen zwischen den verfeindeten Familien aufhalten wollte, man denkt bei ihrem Spitzentanz unwillkürlich an Madame la Mort, und damit wäre das Ballett im Grunde nichts anderes als ein Totentanz.

Intelligent und herzergreifend erzählt

Und doch erzählt Bridget Breiner aller Abstraktion zum Trotz die Geschichte unmissverständlich, intelligent und zugleich herzergreifend, auch wenn sich die Choreografin auf die Kunst des Wegglassens versteht. Man ahnt, wie intensiv sie mit ihren wenigen Tänzern und Tänzerinnen gearbeitet haben muss, um sie so präsent, so persönlichkeitsstark und zugleich so verschiedenartig auf der Bühne erscheinen zu lassen. „Ich habe immer versucht, alle zu fordern“, erklärt die Choreografin, „egal ob es sich dabei um eine Haupt- oder Nebenrolle handelt.“ Wenig verwunderlich deshalb ihr Wunsch, auch in Zukunft möglichst viel im Ballettsaal sein zu können. Deshalb steht ihr seit fünf Jahren Florian König zur Seite; in Karlsruhe wird er als Ballettmanager und Stellvertreter der Ballettdirektorin fungieren. „Ein Mann, dem ich sehr vertraue: kein Tänzer, sondern ein studierter Kunstmanager mit musikalischem Hintergrund.“

Lob für die Arbeit von Birgit Keil

Noch offen ist, wer Birgit Keil als Ballettmeister begleitet. In Gelsenkirchen hat Breiner vor allem mit Gästen gearbeitet, unter anderen mit Ivan Gil Ortega, Alexander Zaitsev und aktuell mit Damiano Pettenella aus Stuttgart. Unklar ist, wie sich ihr Repertoire gestalten wird, ob sie eine Produktion wie „Schwanensee“ von Christopher Wheeldon übernehmen kann oder ein anderes Ballett aus dem Repertoire ihrer Vorgängerin. Ungeklärt ist auch, wie ihr künftig die Mitglieder des sogenannten Ballettstudios zur Verfügung stehen, das sind die Studenten der „Akademie des Tanzes“ der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim, die Birgit Keil viele Jahre lang leitete. „Der Wunsch von Seiten der Akademie ist da, und ich fände es super, wenn wir daran weiterarbeiten könnten.“

Bridget Breiner ist Choreografin, Birgit Keil war es nicht – ein gewaltiger Unterschied, den die Nachfolgerin aber sofort wieder relativiert: „Birgit Keil hat in Karlsruhe etwas Einzigartiges geschaffen, einen Ort, der für gute Tänzer interessant ist, eine Kompanie mit einer eigenen Identität. Das Badische Staatsballett ist ihr Kind“, sagt die werdende Mutter.

Zu sehen ist „Romeo und Julia“ bei einem Gastspiel des Musiktheaters im Revier am 21. und 22. April im Ludwigsburger Forum. Es gibt noch Restkarten.