Künftig will Rupert Murdochs Boulevardblatt ohne Nackedei auf der dritten Seite erscheinen. Frauen in Großbritannien begrüßen diese Entscheidung. Derweil werden Wetten auf alternative Gestaltungselemente angenommen.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Nach 44 Jahren scheint das britische Boulevardblatt „The Sun“ auf seine bekannteste und umstrittenste Einrichtung verzichten zu wollen. Die Zeitung, hieß es jetzt in London, wolle künftig keine barbusigen Mädchen und Frauen auf ihrer Seite 3 mehr drucken – nur auf gewissen Internetseiten der „Sun“, ganz diskret, werde man die notorischen Page-3-Girls noch finden. Das Ende des Seite-3-Nackedeis in der „Sun“-Printausgabe hat bei Politikerinnen, Aktivistinnen und Kommentatoren beiderlei Geschlechts auf der Insel einhelligen Beifall ausgelöst.

 

„Längst überfällig“ sei diese Entscheidung gewesen, meinte etwa Bildungsministerin Nicky Morgan von den Konservativen. Die Labour-Abgeordnete Stella Creasy erklärte, endlich würden Frauen auch von der „Sun“ nicht länger nur als Sexobjekte behandelt. Page 3 gehöre ganz und gar „zum letzten Jahrhundert“.

In der Tat hat sich die Page 3 der „Sun“ erstaunlich lange halten können. Im Herbst 1970, kurz nach dem Erwerb der Londoner Zeitung durch den australischen Verleger Rupert Murdoch, war sie vom damaligen Chefredakteur Larry Lamb eingeführt worden. Seit jenen Tagen hat die „Sun“ ihre Oben-ohne-Darbietung an der immergleichen Stelle im Blatt zur festen Institution gemacht. Die Mischung aus weiblichen Kurven, nackter Haut und witzelnden Sprüchen wurde von Murdoch als  erfolgsträchtiges Verkaufskonzept betrachtet. Aus vielen Gründen, aber sicher auch dank ihrer Page 3, stieg die „Sun“ zum populärsten Boulevardblatt der Insel an Wochentagen auf. Andere Blätter suchten das Rezept immer mal wieder zu kopieren.

Selbst Rupert Murdoch sind Zweifel gekommen

Widerstand gegen die „Degradierung von Frauen“ in der Sun hat es freilich schon so lange wie die Page 3 selbst gegeben. Einzelne Politikerinnen wie die frühere Labour-Ministerin Clare Short riefen schon in den neunziger Jahren zu Protesten und Boykotten auf. Vor zweieinhalb Jahren entfachte eine Aktivistin namens Lucy Ann Holmes gehörigen Wirbel mit ihrer Kampagne „No More Page 3“ (Schluss mit Seite 3). Fast eine Viertelmillion ihrer Landsleute unterzeichneten eine Petition gegen die Nacktbilder. Pfadfinderinnen und Lehrerverbände, die königliche Hebammenschule und sogar die Parlamente von Wales und Schottland forderten ein Ende der Page 3. Nur Premierminister David Cameron fand, was die Zeitung drucke, sei „allein Sache der Zeitung selbst“.

Doch selbst Rupert Murdoch begann sich zu fragen, ob die Page 3 noch zeitgemäß sei und ob die „Sun“ nicht ein moderneres Image vertragen könnte – zumal auch die blanken Busen den Auflagenschwund der „Sun“ im Zeichen der Zeitungskrise nicht aufzuhalten vermochten. Die irische Ausgabe der „Sun“ verzichtete bereits 2013 auf die Page-3-Girls. In Dublin wurden „kulturelle Unterschiede“ geltend gemacht. 2014 ließ sich Murdoch persönlich über Twitter vernehmen, das alte „Sun“-Angebot sei wohl doch etwas „altmodisch“ geworden.

Inzwischen, so war diese Woche in London zu hören, sei das Ende der Page 3 „von ganz oben, von New York“, also von Murdoch selbst, beschlossen worden. Aus der „Sun“-Redaktion in London verlautete hingegen nur lakonisch: „Die Seite 3 der ‚Sun‘ ist da, wo sie schon immer war – zwischen der Seite 2 und der Seite 4. Und Lucy von Warwick finden Sie jetzt auf Page3.com.“

Ein Hintertürchen hält die „Sun“ sich offen

Nicht allen Murdoch-Kritikern ist es genug, dass nun die Stripperinnen der Nation sich in der „Sun“ künftig in Bikinis oder Unterwäsche statt wie bisher barbusig tummeln. Noch immer werde jungen Mädchen so in den Kopf gesetzt, dass sie nicht für besondere Leistungen geschätzt würden, sondern bloß „schmückendes Beiwerk“ seien und sexy auszusehen hätten, klagt die Kampagnenführerin Lucy Ann Holmes. Immerhin sieht auch Holmes „einen Schritt in der richtigen Richtung“ bei der Neuorientierung.

Allerdings behält sich die „Sun“ offenbar vor, den Schritt auch wieder rückgängig zu machen, falls das Ende der alten Page 3 einen weiteren Auflagenverlust zur Folge hätte, statt zum erhofften sauberen Image zu verhelfen. Das Wettunternehmen Paddy Power bietet derweil Wetten darauf an, womit die Sun nun wohl ihre Seite 3 füllen werde, um sich die Kundschaft zu erhalten. 50 zu 1 bietet Power für den täglichen Abdruck „kleiner Kätzchen“, 100 zu 1 für das Erscheinen „feministischer Texte“ auf der Seite und 200 zu 1 für ein Oben-ohne-Bild von Rupert Murdoch.