Auf dem EU-Gipfel zeigt sich die Kanzlerin offen für Vertragsänderungen, um die Briten in der Gemeinschaft zu halten. EU-Bürger dürften jedoch von London nicht diskriminiert werden, wenn es um Sozialleistungen geht.

Brüssel - Für neue Konditionen der britischen EU-Mitgliedschaft wollte David Cameron die „ganze Nacht kämpfen“. So hatte er es angekündigt, als er am Donnerstagnachmittag zum Brüsseler EU-Gipfel erschien, bei dem erstmals ausführlich über die britischen Reformforderungen beraten wurde, ohne deren Erfüllung sich der Premier beim anstehenden Referendum auch nicht für einen Verbleib der Insel in der Gemeinschaft einsetzen will. Am Ende jedoch war das vermeintliche Schlachtfeld schon vor Mitternacht ohne wirklich konkrete Ergebnisse geräumt – und eine endgültige Entscheidung, wie zuvor angekündigt, auf den Gipfel am 18. Februar vertagt.

 

Dass der Lautsprecher aus London trotzdem von „wirklich guten Fortschritten“ und „viel gutem Willen“ bei den EU-Partnern sprechen konnte, hatte vor allem mit der Haltung der deutschen Vertreterin zu tun: „Kanzlerin Merkel“, berichtete Cameron, „hatte ein paar Dinge zu Vertragsänderungen zu sagen.“ In der Tat. Zwar betonte Angela Merkel in ihrer Pressekonferenz in Bezug auf die britische Ansage, EU-Bürgern erst nach vier Jahren bestimmte Sozialleistungen einzuräumen, dass die „Grundpfeiler der EU“ in jedem Fall erhalten werden müssten.

Sie berichtete aber auch von der Notwendigkeit, die europäischen Verträge zu ändern, wodurch eben doch Einschränkungen oder bestimmte Ausnahmen für Großbritannien verankert werden könnten: „Ich glaube, das könnte so sein.“ Änderungen im „Spannungsfeld“ zwischen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Einschränkung sozialer Leistungen seien denkbar, wenn sie „kompatibel sind mit der Frage der Nicht-Diskriminierung“.

Endgültige Regelung erst Ende 2017?

Das soll aus Merkels Sicht jedoch nicht sofort geschehen, sondern bei der nächsten Vertragsänderung – etwa für eine langfristige Stabilisierung der Währungsunion. Damit wollen sich die Staats- und Regierungschefs laut Gipfelerklärung „bis spätestens Ende 2017“ beschäftigen und damit lange nach dem britischen Referendum, das Cameron einer unbedachten Äußerung des französischen Präsidenten Francois Hollande zufolge noch vor den Sommerferien des kommenden Jahres abhalten will.

In den Gipfelgesprächen spielte daher eine große Rolle, wie etwaige Zugeständnisse im Februar so zu Papier gebracht werden, dass auch künftige Regierungen in Europa daran gebunden sind. Das derzeit favorisierte Vorbild dafür ist Diplomaten zufolge das „Edinburgh Agreement“ von Ende 1992. Darin wurde vereinbart, dass Dänemarks Sonderrolle außerhalb der Währungsunion wie auch der EU-Verteidigungspolitik bei nächster Gelegenheit vertraglich abgesichert werden würde.

Stärkung der nationalen Parlamente

Einig war sich die Runde der Staats- und Regierungschefs jedoch nur in der allgemeinen Kompromissbereitschaft. In der Sitzung betonten alle, dass sie die Briten in der EU halten wollen. Merkel sei jedoch „eine der wenigen“ gewesen, die Vertragsänderungen für Großbritannien forciert habe, sagte ein Sitzungsbeobachter: „Manche halten es nicht für seriös, jetzt etwas zu versprechen, das erst in einigen Jahren eingelöst wird.“ Vor allem Hollande betonte die Notwendigkeit, zu sofort umsetzbaren Lösungen zu kommen. EU-Ratschef Donald Tusk soll die Verhandlungen moderieren und einen Kompromisstext vorlegen – auch wenn Cameron für das heimische Publikum mehrfach betonte, es gehe „um Lösungen, nicht um faule Kompromisse“.

Wie diese konkret aussehen könnten, blieb bei diesem Gipfeltreffen offen. Der Londoner Premier musste einräumen, dass es nicht nur in der Migrationsfrage Schwierigkeiten gebe, sondern „in allen vier Themenkörben“, die er mit nach Brüssel gebracht habe. Die Stärkung nationaler Parlamente etwa, die zusammen einen EU-Kommissionsvorschlag stoppen können sollen, war im Vorfeld als unkontrovers angesehen worden. Nun berichtete ein Regierungsvertreter, dass dies nicht für die Länder mit Präsidenten gelte: „Sie wollen ihren Abgeordneten nicht mehr Macht geben.“

Doch es wird sich etwas tun, da der Einigungswille unter den „Chefs“ groß ist. „Sie wollen Cameron auf jeden Fall etwas geben, mit dem er die Volksabstimmung gewinnen kann“, meinte der Regierungssprecher eines Eurolandes nach dem Arbeitsabendessen mit Cameron. Sein Tipp: Es werde eine Einschränkung der Sozialleistungen geben, aber nur für etwaige neue EU-Mitglieder etwa auf dem Balkan.

Cameron ist diesmal ganz entspannt

Ob das Cameron reichen könnte gilt als fraglich, da er in seinem Heimatland unter gewaltigem innenpolitischen Druck steht. Die Brüsseler Verhandlungen „führen zu nichts“, lästerte beispielsweise Nigel Farage, als Vorsitzender der britischen Unabhängigkeitspartei Ukip einer der Wortführer der Austrittskampagne. Aus der britischen Delegation hieß es daher, der Premier werde im Februar „nicht dem erstbesten Deal zustimmen, sondern notfalls weiterverhandeln, bis der Inhalt stimmt“.

Offenbar ist Cameron jedoch überzeugt, die entsprechenden Zugeständnisse zu bekommen. Zumindest trat er in Brüssel so ruhig und entspannt auf wie nie zuvor – und warb sogar ungefragt für den Verbleib im Club: „Die beste Zukunft für Großbritannien ist in einer reformierten EU.“