Brilliant besetzt: die britische Serie "Downton Abbey" ist auf DVD erschienen. Große und kleine Geschichten greifen hier ineinander.

Stuttgart - Wie es in den unteren Quartieren dieses riesigen Schlosses schon brummt, bevor die da oben in ihren luxuriösen Gemächern überhaupt aufstehen! Die Kamine werden angeheizt, die Kammerdiener bereiten ihren Einsatz vor, die Köchin scheucht ihre naive Hilfskraft herum, und der distinguierte Butler Carson (Jim Carter) versucht die Kontrolle über das eifrige Treiben zu behalten. Aber nach diesem Morgen des Jahres 1912, an dem die erste Staffel der Fernsehserie "Downton Abbey" beginnt, folgt kein Tag wie jeder andere: Die Nachricht vom Untergang der Titanic verbreitet sich in diesem Herrenhaus in Yorkshire, und sie löst dort nicht nur Bestürzung aus, sondern setzt auch eine Erzählung in Gang.

 

Mit diesem Schiff sind auch die Hoffnungen des Grafen Grantham (Hugh Bonneville) untergegangen, Downton Abbey im Besitz der engeren Familie zu halten. Erbberechtigt sind nur männliche Mitglieder, Grantham und seine aus Amerika stammende Frau Cora (Elizabeth McGovern) aber haben "nur" drei Töchter, und der Plan, die älteste mit einem Cousin zu verheiraten, ist mit dessen Reise auf der Titanic, salopp gesagt, ins Wasser gefallen. So hält die Familie weiter Ausschau nach einem Kandidaten für die schöne, aber widerspenstige Mary (Michelle Dockery), während gleichzeitig der entfernte Verwandte Matthew (Dan Stevens) informiert werden muss, dass er nach Granthams Tod die Nummer eins der Erbfolge wäre.

Geschichten über Herr- und Dienerschaft

In der Geschichte von "Downton Abbey", in Deutschland bisher nur im Bezahlfernsehen ausgestrahlt, schwingen viele britische Klassiker mit, unter anderem Jane Austens mehrfach verfilmter Roman "Stolz und Vorurteil", in dem es ebenfalls um ein Erbe geht und drei Töchter an den Mann zu bringen sind. Auch die visuellen Schwelgereien des Fernsehmehrteilers "Wiedersehen mit Brideshead" aus den achtziger Jahren feiern ihre Rückkehr, vor allem aber hat der Drehbuchautor Julian Fellowes, der schon die Vorlage für Robert Altmans Adelshausthriller "Gosford Park" schrieb, sich die in den siebziger Jahren gedrehte Serie "Das Haus am Eaton Place" zum Vorbild genommen.

Sie spielt ebenfalls zu Beginn des 20.Jahrhunderts und erzählt - der Originaltitel "Upstairs, Downstairs" weist darauf hin - ebenfalls Geschichten über Herr- und Dienerschaft. Wie im "Haus am Eaton Place" lautet also auch in "Downton Abbey" das Motto: Empathie für alle! So erfährt der Zuschauer nicht nur von den Nöten der Adligen, etwa vom zunächst vertuschten Skandal um Mary, die sich eines Nachts von einem türkischen Diplomaten erobern lässt und am frühen Morgen bestürzt neben dessen Leiche aufwacht, sondern auch vom neuen und geheimnisumwitterten Kammerdiener Bates (Brendan Coyle), der mit Graf Grantham im Burenkrieg war, nun wegen einer Verwundung auf einen Stock angewiesen ist und erkennen muss, dass ihn ein paar Kollegen aus dem Haus ekeln wollen.

Klassenunterschiede werden nie verwischt

Dieses brillant besetzte und inszenierte Ensemblestück wird dabei zu einer sozialen Maschine mit einem Räderwerk, in dem kleinere und größere Geschichten geschmeidig ineinandergreifen. Auch wenn Neid, Eifersucht und Intrigen in den lichten Räumen der Herrschaft genauso wuchern wie in den dunkleren der Angestellten, wird der Klassenunterschied nie verwischt: Da oben geht es vor allem um den Status, da unten immer um die Existenz! Weil "Downton Abbey" aber beiden Milieus das gleiche Maß an Aufmerksamkeit widmet, auf die Geschichten der Dienerschaft also nicht weniger Wert legt als auf die des Adels, wird zumindest die erzählerische Hierarchie aufgehoben.

Diese Serie zeigt ja auch, dass eine so zeitlos scheinende Welt wie die von Downton Abbey nicht außerhalb der Historie existiert, dass nicht nur der technische, sondern auch der soziale Fortschritt in sie eindringen wird. Sogar die jüngste Grantham-Tochter Sybil (Jessica Brown-Findley) wird mitgerissen, will einer jungen Dienerin, die heimlich Schreibmaschine gelernt hat, eine Stelle als Sekretärin verschaffen und lässt sich vom irischen Chauffeur zu politischen Versammlungen fahren, auf denen Frauenrechte eingefordert werden. Und als so eine Versammlung mal in eine Massenschlägerei ausartet, wird Sybil vom potenziellen Downton-Abbey-Erben Matthew herausgehauen.

Der Adelswelt verpflichtet

Dieser selbstbewusste Matthew stammt aus der Mittelschicht und aus Manchester, was nicht nur bei Granthams blasierter Mutter (großartig: Maggie Smith) Stirnrunzeln auslöst, und er will sich auch nicht ohne Weiteres ins Adelsleben integrieren lassen, sondern weiter in seinem Beruf als Anwalt arbeiten. Dabei ist Arbeit doch nur etwas für die niederen Stände! So denkt auch Mary, die sich trotzdem und wider Willen von diesem jungen Mann angezogen fühlt. Auch Grantham findet Matthew sympathisch, außerdem ließe eine Heirat mit seiner Tochter das Schloss im Familienbesitz. Überhaupt ist dieser Graf ein Mann mit "common sense", immer mit einem Ohr für die Sorgen seiner Angestellten, stets um Ausgleich bemüht und damit das Gegenstück zu seiner biestigen Mutter, die bis zur schmalen Unterlippe mit Klassendünkel angefüllt ist. Durch aufgeklärte Adlige wie Grantham, so darf man wohl sagen, hat England Revolutionen vermieden.

Aber so reformwillig sich Grantham auch zeigt, letztlich ist er doch seiner Adelswelt verpflichtet. Für ihn ist Downton Abbey auch größer als dessen einzelne Bewohner und repräsentiert ein Gesellschaftsmodell mit wohlgeregeltem Verhältnis zwischen oben und unten. Doch nicht mehr alle Angestellten identifizieren sich mit diesem Modell, für den Kammerdiener Thomas etwa (Rob James-Collier) ist Downton Abbey eine inbrünstig gehasste Zwangsgemeinschaft. Und was ist diese Welt für ihren Schöpfer Julian Fellowes? Er lässt die erste Staffel mit der Nachricht von einem Attentat in Sarajevo enden, das zum Weltkrieg und zum Zusammenbruch von Regierungen und sozialen Systemen führen wird. In England allerdings ist vieles beim Alten geblieben. Seit Anfang diesen Jahres sitzt Julian Fellowes für die Konservativen im Oberhaus und darf sich Baron of West Stafford nennen.

Downton Abbey Universal. 362 Minuten. Kommentare und Making of; ca. 18 Euro.


Zeitungsbügeln: In den wenigen verbliebenen Butler-Schulen wird immer noch die Kunst des Zeitungsbügelns gelehrt. Warum das sein muss, wird in „Downton Abbey“ erklärt: Beim Bügeln geht so viel von der Druckerschwärze raus, dass die Zeitung bei der Lektüre nicht mehr auf Aristokratenhände abfärbt.

Rosenkrieg: Jedes Jahr wird im Dorf neben Downton Abbey die beste Rosenzüchtung gekürt, bisher hat jedes Mal Granthams Mutter gewonnen. Dieses Jahr aber wird sie überredet, mal einen Gewinner aus dem Dorf zuzulassen. Die Sequenz ist ein Zitat aus William Wylers Film „Mrs. Miniver“, der im Kriegsjahr 1942 zur Versöhnung der Klassen aufrief und zum gemeinsamen Kampf gegen die Nazis.