How lovely! Im English Tea Room von Lynn und Christian Hazlewood im Heusteigviertel kann man jetzt an einer authentischen englischen Teatime teilnehmen. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, und haben uns den Spaß mal angesehen.

Stuttgart - Es ist dunkel, kalt und nass. Nieselregen benetzt den Asphalt im Heusteigviertel. Obwohl es Nachmittag ist, sind in den umliegenden Häusern längst die Lichter angegangen. Bestes englisches Wetter. Finden auch Lynn und Christian Hazlewood. Das englische Ehepaar betreibt seit vielen Jahren den wunderbaren English Tearoom im Stuttgarter Süden, vor einigen Monaten kam ein weiterer Raum schräg gegenüber hinzu. Auch der widmet sich der größten Leidenschaft dieser beiden, wie sie selbst von sich sagen, Tee-Snobs. Seminare, Verkostungen, Backkurse, Geburtstage und traditioneller Afternoon Tea werden hier in originär britischer Stimmung abgehalten, das Interieur und die Atmosphäre wurden fehlerfrei über den Kanal importiert.

 

 

Viktoria grüßt von der Wand

 

An diesem Tag steht ein klassischer Afternoon Tea auf dem Programm, hohes Heiligtum der Engländer und eine geradezu sakrale Zeremonie, bei der neben verschiedenen Tees auch Sandwiches, Scones und andere Leckereien verputzt werden. Rund zehn Teeenthusiasten haben diesmal den Weg in den gemütlichen Raum gefunden. Man hat sich ein wenig in Schale geworfen, um den Anlass zu zelebrieren, fast jeder Platz ist belegt.

 

Warmes Licht spendet Behaglichkeit, die Regale, Fensterbänke und Anrichten sind voll mit allerlei englischem Nippes, einem Konterfei von Königin Viktoria, Porzellan von Westwood und Tee. Wie immer bester Laune, herzlich und familiär begrüßt Lynn ihre Gäste, als wären sie alle gute Bekannte, gibt einen kurzweiligen historischen Abriss über die Teebesessenheit der Engländer. Das Heißgetränk, erfährt man, fand seinen Weg vor hunderten von Jahren aus Fernost nach England, wo genau es herkam, steckt noch heute in der englischen Bezeichnung für Teegeschirr: China nennen die Briten ihr Teeporzellan.

 

„Miss Marple“-Behaglichkeit

 

Klar, auch Indien spielte eine nicht ungewichtige Rolle, immerhin war der riesige Subkontinent bis 1948 ein Teil des Empire, insbesondere der Norden bei Darjeeling eines der wichtigsten Anbaugebiete. Lynn und Christian wissen viel über Tee, gewiss auch mehr als viele andere Engländer, doch selbst für einen normalen Briten, so Lynn, ist Tee mehr als ein Getränk. „Tee ist überall, und das erste, das die Engländer tun, wenn sich Besuch ankündigt, ist, den Kessel aufzusetzen.“ Diese urwüchsige Gemütlichkeit eines pfeifenden Kessels und eines wärmenden Getränks erinnert unweigerlich an „Miss Marple“, jüngere Teetrinker vielleicht an „Harry Potter“. Spätestens jetzt aber eben auch an die Hazlewoods in ihrem Tearoom.

 

Snobs aus Leidenschaft

 

Zu den traditionellen Afternoon-Tea-Begleitern (Sandwiches mit Gurke, Ei und Kresse, pochiertem Lachs und „Coronation Chicken“, dem Curry-Huhn, das bei Elisabeths Krönung serviert wurde) probieren sich die verzückten Besucher durch weiße und grüne Tees erlesener Provenienz. „Die stärkeren Schwarzen sind dann eher für die süßen Scones und Küchlein geeignet“, rät Lynn, schenkt mit ihrem Mann unermüdlich Tee nach, seufzt zwischendrin mal über den Brexit.

 

Wie die beiden überhaupt die Tee-Snobs wurden, als die sie sich augenzwinkernd sehen, ist eine Geschichte für sich: „Als wir uns vor 32 Jahren kennenlernten, hatte niemand von uns viel Ahnung von Tee. Wie die meisten anderen Menschen, tranken wir ihn von morgens bis abends, aus Teebeuteln und mit Milch.“ Ihr Job als Stewardess bei British Airways erlaubte es Lynn jedoch, immer wieder Tees aus Asien zu probieren – und festzustellen, wie gut Tee wirklich sein konnte. „Von da an gab es kein zurück mehr“, meint sie schmunzelnd.

 

Sie stürzten sich in die Wissenschaft rund um dieses uralte Getränk, bahnten sich ihren Weg durch die gewaltige Teeauswahl bei Harrods in London. „Als wir dann unseren Laden eröffneten, stellten wir fest, dass wir doch ziemliche Snobs geworden sind. Das mag auf den ersten Blick negativ klingen, ist aber die Wahrheit.“ Papperlapapp. Wer derart hochwertige Tees aus den besten Anbaugebieten der Welt anbietet, darf sich nennen wie er will.

 

Die Clotted-Cream-Streitfrage

 

Die Sandwiches sind verputzt. Zeit für die Scones. Die hat Lynn frisch gebacken, während die Gäste schmausten, nun wandern sie warm und dampfend in die hübschen Etageren auf den Tischen. Traditionell gibt es dazu Clotted Cream, diese sündhafte Leckerei irgendwo zwischen Sahne und Butter. „Man debattiert bis heute darüber, ob man zuerst Clotted Cream und dann Marmelade auf die Scones streicht oder andersrum“, referiert Lynn. Ja, die Engländer und ihre bisweilen kauzigen Rituale. „Da wir unsere Clotted Cream aus Cornwall beziehen und die dort davon überzeugt sind, die beste zu produzieren, kommt heute erst die Marmelade und dann die weiße Creme auf das Gebäck.“ So oder so: Es schmeckt herrlich. Dazu ein klassischer und malziger Earl Grey, fertig ist das wohlige Nachmittagsglück.

 

Royaler Rausch

 

Dass die beiden ausgerechnet in Süddeutschland mit einem englischen Teeladen Fuß fassen konnten und mit ihren Seminaren, Workshops und Afternoon Teas auf derart viel Anklang stoßen würden, hat die beiden durchaus überrascht. „Hier im Süden trinkt man ja eher Kaffee, aber diejenigen, die Tee trinken, nehmen das sehr ernst und probieren gerne andere Sorten aus.“

 

Fragt man Christian nach seiner Lieblingssorte, muss er nicht lange nachdenken: „Darjeeling First Flush, den ich direkt aus Kalkutta mitgebracht habe.“ Lynn muss länger nachdenken, entscheidet sich dann aber für einen Gao Shan Olong aus Taiwan. Beide können auch an diesem Nachmittag verkostet werden. Überhaupt regen die verschiedenen Tees die Gespräche an. Sie heben die Stimmung, machen beschwingt und locker.

 

Getoppt wird die berauschende Mischung von der obersten Plattform der Etagere. Hier warten kleine Patisserie-Kunstwerke von einer französischen Freundin. Lebkuchen-Macarons oder Apfeltarte, der süße Gipfel einer feudalen Tea Time. Schöner Gedanke: Die kann selbst im Buckingham Palace nicht schöner sein.