Miricalls, wie sieht der Alltag eines angehenden Popstars aus?
Jetzt gerade? Oder vor ein paar Wochen?
Gibt es da einen Unterschied?
Ja, seit der Veröffentlichung meiner Single „Don’t need to be perfect“ bin ich in einer Promotion-Hochphase. Das bedeutet: wenig Freizeit und wenig Schlaf. Außerdem verbringe ich viel Zeit mit sozialen Medien. Ich poste Fotos, Geschichten, produziere Videos.
Und die Wochen davor?
Die waren entspannter. Ich konnte ausschlafen und gemütlich frühstücken. Danach traf man sich für eine Songwriting-Session.
Und dann passen Sie noch auf Kinder auf.
Stimmt. Ich arbeitete zwei Tage die Woche im Kindergarten. Das ist der Beruf, den ich nach meinem Realschulabschluss gelernt habe: Erzieherin. Seit anderthalb Jahren arbeite ich in einer Einrichtung für sehbehinderte Kinder.
Sie führen ein Doppelleben?
Was gar nicht schlecht ist. Als Erzieherin bekomme ich ein regelmäßiges Einkommen, bin sozialversichert und muss nicht lange vor dem Kleiderschrank stehen, um mir zu überlegen, was ich anziehe. Der Beruf ist ein guter Ausgleich zum Musikerinnendasein.
Von „Don’t need to be perfect“ gibt es ein Video. Wie heißt der Mops, der da vorkommt?
Mochi.
Und wie heißt die blonde Hauptdarstellerin?
Kim Hoss. Kim kommt aus Stuttgart. Sie ist eine Influencerin, die es in wenigen Jahren geschafft hat, ein großes Publikum für sich zu begeistern. Von Beruf ist Kim Mediendesignerin. Nebenher macht sie ein Podcast mit ihrer Oma. Bei „Die Podcast-Oma“ stellt sie Fragen, die ich mich bei meiner Oma nie getraut hätte. Eine tolle Sache. Man erfährt viel über die ältere Generation.
Wie sind Sie auf Kim Hoss gekommen?
Über soziale Medien. Ich wollte dieses Mal im Video nicht selbst mitspielen und habe eine starke Persönlichkeit gesucht, die die Aussage des Songs verkörpern kann: nicht perfekt sein zu wollen. Ich schrieb Kim über Instagram an. Dann haben wir uns auf einen Kaffee getroffen. Sie war ganz gerührt, als ich ihr von meinen Plänen erzählte.
Ohne Video läuft nichts mehr?
Genau, und wenn man nur ein Video mit eingeblendeten Texten produziert. Die Menschen heute sind viel visueller als früher.
Sie schreiben nicht nur die Musik zu Ihren Songs, sondern auch die Texte. Waren Sie in der Schule gut in Englisch?
Überhaupt nicht. Das war eines meiner schlechtesten Fächer, was wohl nicht nur an mir, sondern auch an der Schulpädagogik lag. Bei Vokabeltests kommt kein persönlicher Bezug zur Sprache auf. Inzwischen ist mein Englisch um Welten besser.
Was reizt Sie an der Sprache?
Die vielen Vokale im Englischen lassen speziell meiner Stimme Raum. Das Deutsche mit seinen Konsonanten klingt hart. Es gibt Leute, die damit gut umgehen können wie Max Giesinger oder Mark Forster. Seit Anfang des Jahres bin ich bei einem Verlag unter Vertrag und versuche mich auch an deutschsprachigen Songs. Das ist eine tolle Übung. Ich schreibe sogar Schlager.
Als Auftragsarbeit?
Ja, es macht unheimlich Spaß, sich in eine andere Rolle hineinzuversetzen. Aber singen würde ich die Songs nicht wollen. Beim Singen ist Deutsch für mich eine Fremdsprache. Mit meiner Stimme fühle ich mich im Englischen einfach daheim.
Wenn man Ihre Songs als Gute-Laune-Musik bezeichnet, ist das okay?
Absolut. Viele junge Frauen haben Videos hochgeladen, in denen sie zu meinen Songs tanzen, darunter auch die Stuttgarterin Lisa von „lisaandlena“, die auf Instagram 14,9 Millionen Abonnenten hat. Das ist doch ein schönes Kompliment. Natürlich möchte ich mit meiner Musik gute Laune verbreiten, aber eben nicht nur.
Sondern?
„My Grief and I“ handelt vom Umgang mit Trauer. Auch das ist ein Thema, das mich beschäftigt. Aber am Ende ist mir ein positiver Blick auf die Welt wichtig.
Hat das auch mit Ihrem Glauben zu tun?
Ich denke schon. Mein Glaube schimmert bei all meinen Songs durch. Mir persönlich hilft er, durchs Leben zu gehen. Ich gehe regelmäßig in die Kirche.
Ihr Vater und Ihr Großvater sind beide Geigenbauer. Ich vermute, Sie sind mit Musik aufgewachsen?
Ja, und dafür bin ich dankbar. Denn natürlich beeinflusst einen das Umfeld. Musik hat bei uns zum Alltag gehört, schließlich waren die Werkstätten im Haus. Eigentlich sind wir alle in der Familie musikalisch, auch die, die damit nicht ihr Geld verdienen.
Aber im klassischen Fach sind Sie trotz Geigenhintergrund nicht gelandet.
Nein, solche Töne schlage ich nur unter der Dusche an.
Haben Sie eigentlich schon mal auf der Straße gespielt?
Ja, aber das ist, abgesehen von der schlechten Bezahlung, sehr anstrengend. Auf der Bühne zu stehen ist viel schöner.
Sie haben zuletzt etliche Songs produziert. Gibt es irgendwann eine neue Miricalls-CD?
Kaum, das macht heute fast keiner mehr. CDs sind für ausgesprochene Liebhaber. Die breite Masse erreicht man damit nicht.
Schreiben Sie Ihre Songs nach wie vor an einem geheimen Ort?
Ja. Doch der geheime Ort von früher ist inzwischen weiter weg, schließlich zieht man im Leben ja auch mal um. Aber es gibt weitere geheime Plätze, an denen ich mich geborgen fühle und meine Songs schreibe. Ruhe ist dabei wichtig.
Geborgenheit und Schutz vermittelt wohl auch Ihr Lieblingskleidungsstück, der Mantel.
Der Mantel ist nach wie vor ein Markenzeichen. Aber inzwischen habe ich gemerkt, dass so ein Mantel auch unpraktisch sein kann, vor allem im Sommer.