Nicht schön, aber beliebt. Legal ist die Fußgängerbrücke schon seit zehn Jahren nicht mehr begehbar. Foto: Roberto Bulgrin
Vielfach abgeschrieben und doch immer wieder zu neuem Leben erwacht: Der seit zehn Jahren gesperrte Alicensteg über den Neckar und die B 10 hat fast schon Kultstatus in Esslingen. Aber jetzt droht ihm das endgültige Aus.
Johannes M. Fischer
12.02.2025 - 16:00 Uhr
Es war eher eine Randnotiz in der Neujahrsrede von Matthias Klopfer. Der Alicensteg in Esslingen, der den Merkelpark mit dem Zollberg verbindet, hat eine imposante Geschichte und genießt einen hohen Stellenwert in der Esslinger Bürgerschaft. Die Entscheidung über die Zukunft der ohnehin seit einem Jahrzehnt gesperrten Brücke verlagerte Klopfer in dieser Rede in die späten 2030er Jahre.
Bedeutet das das endgültige Aus? Im Gemeinderat, der die Esslinger Bevölkerung ja vertritt, macht man sich jedenfalls darüber ernsthafte Gedanken.
Immer mehr geht auch in Esslingen nicht mehr
Doch zurück zur Rede des Rathauschefs. „Die Zeiten des Immer mehr sind vorbei“, leitete Klopfer verschiedene Ansagen ein. So könnten im Rathaus nicht immer mehr Stellen geschaffen werden. Eine weitere Verbesserung des S-Bahn-Taktes oder der Busse sei unrealistisch. Und: „Brückensanierung geht vor Neubau. Nach der Sanierung ist vor der Sanierung. Einen neuen Alicensteg oder eine Brücke aus der Weststadt in die Pliensauvorstadt kann es frühestens zu einer Gartenschau 2037 geben, wenn alle Sanierungen abgeschlossen sind.“
Seit zehn Jahren ist keine Entscheidung über die Zukunft des gesperrten Stegs gefallen, die Bestand gehabt hätte. Foto: Roberto Bulgrin
Dann wird die Geschichte des Alicenstegs beinahe 150 Jahre alt sein. Erstmals erbaut wurde der Steg im Jahr 1891. Fast hundert Jahre später wurde er abgerissen und 1968 neu gebaut. Seit 2015 ist die Fußgängerverbindung gesperrt – der Übergang wurde als unsicher eingestuft. 2013 wurde sein erneuter Abriss diskutiert. Doch angesichts von Protesten kamen Zweifel an der Entscheidung auf. Man diskutierte weiter, beriet, vertagte und fasste im Januar 2021 einen erneuten, äußerst knappen Abrissbeschluss. Dieser wurde kurz darauf aber erneut auf Eis gelegt.
Es gibt einen Zusammenhang mit dem Radschnellweg nach Stuttgart
Zuletzt wurde über den Steg im Zusammenhang mit dem geplanten Radschnellweg nach Stuttgart diskutiert. Der Stadt Esslingen will es nicht richtig gelingen, sich auf eine Streckenführung festzulegen – das Projekt hängt in der Luft. Eine Variante wäre die Streckenführung über den Alicensteg, der dann auch mit Landesmitteln wieder auf Vordermann gebracht werden könnte. Es ist vermutlich die letzte Chance für den Steg, dass er tatsächlich noch seinen 150. Geburtstag feiern kann.
In einer Putzaktion machten Esslinger 2021 auf die Verwahrlosung des Stegs aufmerksam. Foto: Roberto Bulgrin
„Vielleicht sollte man darüber noch einmal nachdenken“, meint die Vorsitzende der Fraktion FDP/Volt im Esslinger Gemeinderat, Rena Farquhar. Denn damit wäre die Beteiligung des Landes gesichert „und Esslingen könnte sich diese auch für den Zollberg sehr wichtige Verbindung leisten“. Auch die CDU erkennt hierin „eine Lösung, die wir für sehr sinnvoll halten würden“, so der Fraktionschef Tim Hauser.
Esslinger Stadträte: Erst mal abwarten
Aber ob das kommt? Für die Fraktionschefin der Grünen im Esslinger Gemeinderat Carmen Tittel und SPD-Fraktionschef Nicolas Fink jedenfalls steht fest, dass über den Steg erst dann endgültig entschieden werden kann, wenn klar ist, wo der Radschnellweg lang läuft.
Skeptisch ist Annette Silberhorn-Hemminger, Fraktionschefin der Freien Wähler: „Der Sanierungsstau bei den großen Brücken ist groß, ebenfalls bei den Schulgebäuden und Sporthallen.“ In Abwägung mit den vielen anderen Aufgaben habe der Steg keine Priorität.
Für Stadtrat Hermann Beck von der Ratsgruppe „WIR/Sportplätze erhalten“ ist es hingegen an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Nichtstun sei keine Lösung, leiste dem weiteren Verfall lediglich Vorschub. Beck favorisiert „ eine fachlich notwendige Sanierung, keine Deluxe-Ausführung mit hohen Kosten“. Der sich anschließende Weg im Eisberg mit den Staffeln sollte instandgesetzt und dann wieder zur Nutzung für Fußgänger freigegeben werden.
Befürworter: Steg in Esslingen wichtig für das Binnenklima
Stephan Köthe, Fraktionschef der AfD, spricht sich ebenfalls für die Erhaltung aus. Zudem müsste der gleichfalls gesperrte Eisbergweg zum Zollberg hinauf im Betrieb bleiben. „Wenn schon der Verzicht auf das Auto propagiert wird, dann müssen auch Alternativen für Fußgänger erhalten werden“, so Köthe.
Die Fraktion „Linke/FÜR Esslingen“ fordert „die zeitnahe Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen und zügige Nutzbarmachung dieser wichtigen Wegverbindung“. Als Begründung werden „binnenklimatische Erfordernisse“ angeführt: Der Weg führe aus der im Sommer überhitzten Stadt direkt in die Baumkühle des Eisbergwegs. Als Fußverbindung auf den Zollberg sei der Alicensteg ebenfalls „nicht zu vernachlässigen“.
Alternative zum Alicensteg im Westen der Stadt Esslingen
Während sich der Alicensteg noch immer im Dornröschenschlaf befindet, taucht in der Stadt plötzlich eine ganz neue Brücken-Idee auf. Auch sie wurde in der Neujahrsrede Klopfers angesprochen: eine Fußgänger- und Radbrücke aus der Weststadt in die Pliensauvorstadt. Sie würde im Gegensatz zum Alicensteg, der den Merkel-Park mit einem Wanderweg verbindet, zwei boomende Stadtteile zusammenführen.
Die Geschichte des Alicenstegs
Ur-Steg Der Stifter des 1891 gebauten Stegs ist Oskar Merkel, ein Textil-Unternehmer, nach dem auch der Merkelpark in Esslingen benannt ist. Der Steg, so Merkel, werde „zum Nutzen und zur Erholung der Einwohner“ erbaut. Der Nutzen lag auf der Hand: Die Arbeiter der Merkel-Fabrik kamen zu einem großen Teil zu Fuß aus Berkheim und von den Fildern und mussten bei ihrem langen Marsch zur Textilfabrik, die im Bereich des heutigen Merkel’schen Parks lag, einen Umweg über die Pliensaubrücke machen. Der Steg verkürzte den Weg.
Neubau In den 1960er Jahren wurde die B 10 zwischen Esslingen und Plochingen ausgebaut. In diese Zeit fiel auch der Ausbau des Neckars für die Schifffahrt in Richtung Plochingen. Bei diesen groß angelegten Baustellen passte der Alicensteg nicht mehr in die Industrielandschaft. Er wurde abgerissen und 1968 neu gebaut. Seit 2015 ist er gesperrt.