Die EU-Kommission erklärt erstmals Steuersparmodelle großer Konzerne für illegal – weitere Entscheidungen sollen folgen. Starbucks und Fiat müssen nun jeweils 20 bis 30 Millionen Euro an Steuern nachzahlen.

Brüssel - Es ist eine Premiere im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit: Erstmals hat die EU-Kommission als oberste Hüterin des Wettbewerbsrechts in Europa Steuerdeals zwischen Mitgliedstaaten und multinationalen Unternehmen für unzulässig erklärt. So haben eine Tochterfirma des US-Kaffeerösters Starbucks in den Niederlanden und eine Finanztochter des italienischen Autobauers Fiat in Luxemburg über sogenannte „tax rulings“ jahrelang eine Vorzugsbehandlung erfahren. „Die Steuervorbescheide stehen nicht im Einklang mit EU-Wettbewerbsrecht, wenn sie die Abgabenlast der Unternehmen künstlich senken“, sagte die zuständige Kommissarin Margrethe Vestager am Mittwoch: „Sie sind illegal.“

 

Beide Unternehmen müssen nun jeweils 20 bis 30 Millionen Euro an Steuern nachzahlen – Starbucks für die Zeit zwischen 2008 und 2014, Fiat für die vergangenen drei Jahre. Die Niederlande und Luxemburg, die nun die Steuererklärungen beider Konzerne mit den Vorgaben der Brüsseler Behörde neu berechnen müssen, kritisierten die Entscheidung: Man habe sie „einigermaßen überrascht“ zur Kenntnis genommen, hieß es in einer Erklärung der Haager Regierung, die „die Kritikpunkte der Kommission vor weiteren Schritten genau prüfen wird“. Luxemburgs Finanzminister Pierre Gramegna teilte mit, das Großherzogtum „behält sich rechtliche Schritte vor“. Wettbewerbsentscheidungen können vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten werden.

Hohe Lizenzgebühren für das Starbucks-Röstgeheimnis

Im Fall von Starbucks beanstandet die EU-Kommission vor allem zwei Aspekte des Steuersparmodells: So zahlte das Tochterunternehmen Starbucks Manufacturing mit Sitz in Amsterdam, die einzige Rösterei des Konzerns in Europa, hohe Lizenzgebühren für das Starbucks-Röstgeheimnis an ein weiteres Tochterunternehmen namens Alki in Großbritannien. Im Gegensatz dazu erhielten unabhängige Röstereien, die im Auftrag von Starbucks arbeiten, das „Geheimrezept“ umsonst. „Es gibt also einen Marktpreis, der hier hätte zur Anwendung kommen müssen, nämlich 0“, hieß es in der Kommission. Dagegen variierten die konzerninternen Lizenzzahlungen mit dem Segen der Finanzbehörden von Jahr zu Jahr stark – so dass in den Niederlanden stets ein nur sehr geringer versteuerbarer Gewinn verblieb.

Laut Vestager hat die Starbucks-Tochter 2014 nur 600 000 Euro Steuern gezahlt – bei einem Umsatz von 350 Millionen Euro. Der Finanzdienstleister Fiat Finance and Trade überwies bei einem Jahresumsatz von 830 Millionen Euro gar nur 400 000 Euro an den Luxemburger Fiskus – und verschaffte dem Konzern damit extrem günstige Finanzierungskonditionen. „Auch wenn das keine spektakulären Summen sind“, sagte die Kommissarin zur Rückzahlungsforderung von 20 bis 30 Millionen Euro, „so ist es doch viel mehr als bisher.“ In ihrer Behörde wurde zudem darauf hingewiesen, dass ihre Experten sich nur kleine Ausschnitte großer Konzerne angeschaut hätten. So betrug der Jahresumsatz des gesamten Kaffeehauskette Starbucks zuletzt rund 16 Milliarden Euro. Vestager erhofft sich von den ersten Entscheidungen dieser Art – die Ermittlungen gegen Apple in Irland, Amazon in Luxemburg sowie Firmen in weiteren EU-Staaten laufen noch – vor allem Signalwirkung. „Alle Firmen, ob groß oder klein, müssen einen fairen Steueranteil zahlen“, so die Dänin, „ich hoffe, dass diese Botschaft von den Regierungen wie von den Unternehmen selbst gehört wird.“ So sollen die ersten Entscheidungen als Präzedenzfall dafür dienen, dass etwa der Wert geistigen Eigentums wie des Kaffeerezepts nicht willkürlich beziffert werden darf. Vestager kündigte zudem an, Leitlinien dazu zu veröffentlichen, welche Steuervorbescheide zulässig sind und welche nicht.

Zugleich warb sie für neue Gesetze wie die einheitliche Körperschaftssteuerbasis in Europa, auf die sich die Mitgliedstaaten bisher nicht einigen konnten. Fortschritte erwartet sie sich auch vom gerade beschlossenen Informationsaustausch von „tax rulings“ zwischen EU-Staaten – auch wenn ihre Behörde die Daten nur in anonymisierter Form erhält: „Der Starbucks-Fall resultiert aus einer Anhörung vor dem britischen Parlament“, berichtete Vestager: „Wir können die Fälle also trotzdem aufgreifen, auch wenn sie erst nur auf nationaler Ebene bekannt werden.“