Ein Spagat zwischen sportlicher Substanz und finanziellen Vorgaben: Bruno Labbadia spricht im StZ-Interview über die Zukunftsprognosen für den VfB.  

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Die letzte Niederlage in Mainz hat Bruno Labbadia lange beschäftigt. "Ein Sieg hätte wieder neues Selbstvertrauen gegeben", sagt der 45-Jährige vor der Heimpartie am Sonntag gegen Augsburg. Gegen den Neuling zählt für den Trainer nur ein Erfolg - auch, um mit dem VfB das nächstes Etappenziel zu erreichen: "Die Mannschaft muss stabiler werden."

 

Herr Labbadia, Sie wohnen im Stuttgarter Osten, und wir vermuten, Ihre Wahl ist deshalb auf diesen Stadtteil gefallen, weil Sie es so nicht weit zum Trainingsplatz haben.

Das stimmt. Als ich im letzten Dezember beim VfB anfing, wollte ich gleich voll da sein. Die Wohnung liegt ideal.

Es hat überhaupt den Anschein, als gäbe es in Ihrem Leben neben dem Fußball für wenig andere Dinge Platz.

Als ich Trainer wurde, habe ich schnell gemerkt, dass ich in diesem Job viel weniger Zeit habe als in meiner Karriere als Spieler. Also habe ich mein Leben gut organisiert. Daher kann ich mich extrem auf den Fußball konzentrieren - und habe auch noch Zeit für meine Familie. Sechs Tage in der Woche bin ich fast rund um die Uhr für den VfB im Einsatz. Aber ich kann auch abschalten. Das ist wichtig.

Ihre Familie lebt in Hamburg. Den Hausmann Bruno Labbadia wird es daher wohl auch am siebten Tag nicht geben, oder?

Sagen wir es so: Mit dem Waschen tue ich mich ziemlich schwer. Aber mit dem Bügeln hatte ich noch nie Probleme. Wenn ich schnell mal was aufbügeln muss, dann mache ich das gerne selbst.

Denken Sie, dass der bügelnde Bruno Labbadia zu Ihrem Image passt?

Ich kann mit meinem Image gut leben. Dass ich akribisch bin, ehrgeizig . . .

. . . und dass Sie nicht nur bei den weiblichen Fans als der "schöne Bruno" gelten?

Wissen Sie, man muss sich in meinem Job viel anhören. Manche Leute haben mir häufiger vorgeworfen, dass ich auf der Bank einen Anzug trage und keine Trainingsklamotten. Identifiziert der sich nicht mit der Mannschaft? Solche Sprüche kamen da. Entscheidend ist aber, dass man sich wohlfühlt. Ich kam mir früher sogar als Spieler im Trainingsanzug manchmal komisch vor, wenn wir in einem feinen Hotel waren und ich durch die Lobby lief. Ich habe eben ein Faible für schöne Kleidung.

Andere, wie etwa Ihr Dortmunder Kollege Jürgen Klopp, kommen in weiter Jogginghose und Schirmmütze zum Spiel.

Das finde ich beim Kloppo cool, weil es zu seinem Typ passt. Für mich ist der Spieltag ein absoluter Feiertag. So habe ich es von meinem Vater gelernt. Der hat auf dem Bau gearbeitet - aber sonntags hat er stets den feinen Anzug getragen.

Sie galten vor Ihrer Zeit in Stuttgart als ein Trainer, der Spieler kurzfristig motivieren kann, dem aber der lange Atem fehlte.

Da antworte ich, dass man als Trainer eben auch mal für seine guten Taten bestraft wird. Etwa, wenn man mit einem Verein schnell etwas erreicht, obwohl die Mannschaft kein richtiges Fundament hat. Ich war mit Hamburg im Halbfinale der Europa League und mit Leverkusen im DFB-Pokalfinale. Beides findet meines Wissens nach erst im Frühjahr statt. Wir waren also entgegen der Legende nicht nach ein paar Monaten raus aus der Erfolgsspur. In beiden Clubs gab es sehr talentierte Spieler, die einfach noch reifen mussten.

Ist die Station beim VfB Stuttgart für Sie der Image-Wendepunkt Ihrer Karriere hin zum Ziel, sich als Konstante in der Bundesliga zu etablieren?

So habe ich das nie gesehen. Für mich war nur eines entscheidend: der VfB Stuttgart ist ein toller Club, der unbedingt in der ersten Liga bleiben musste. Mich hat es mehr beschäftigt, was mit dem Verein passieren würde, sollten wir absteigen, als dass ich mich um meine persönliche Zukunft gesorgt hätte. Ich glaube an meine Fähigkeiten als Trainer.

Im Abstiegskampf waren Sie unerfahren. Hat Ihnen Ihre professionelle Distanz zu den Spielern in der Vorsaison geholfen?

In meinem Beruf darf man ohnehin ganz selten sein Innerstes nach Außen kehren. Im Normalfall hat ein Trainer ein, zwei Patronen im Gürtel, damit meine ich zum Beispiel die Möglichkeit, mit einer emotionalen Ansprache mal dazwischenzuhauen. Im Abstiegskampf ist aber mehr Disziplin gefragt: Da darf in der Mannschaft nicht noch mehr Unruhe aufkommen. Der Trainer muss die Spieler kritisch beurteilen, muss aber gelassen bleiben und immer wieder sagen: Schaut her, das ist unser Plan. Auch bei Rückschlägen gehen wir weiter unseren Weg.

Am Ende hat es ja geklappt.

Glauben Sie mir: der 2:1-Heimsieg am vorletzten Spieltag gegen Hannover, mit dem wir den Klassenverbleib gesichert haben, war trotz aller vorigen Erfolge der Moment, in dem ich die tiefste Zufriedenheit in meiner Karriere als Trainer und Spieler gespürt habe.

Zukunftsprognose für den VfB

Was ist vom VfB künftig zu erwarten?

Der Anspruch des Vereins sollte es immer sein, international zu spielen. Und ich sage nicht, dass dies nicht möglich ist. Doch man sollte immer bedenken, wo wir herkommen. Das meine ich nicht nur sportlich, sondern auch finanziell. Wir müssen uns in einem bestimmten finanziellen Rahmen bewegen und nicht sagen: Wir holen uns jetzt mal den Sechs- oder Siebenmillionenmann hier hin zum VfB.

Und was folgt daraus? Dass Ihre Mannschaft doch nicht um die internationalen Plätze mitspielen kann?

Ich sage nur, dass wir im Wettbewerb mit einigen Clubs vorne in der Tabelle andere finanzielle Rahmenbedingungen haben. Also muss bei uns einiges zusammenpassen: Die Mannschaft muss sich weiterentwickeln - und da sehe ich sehr wohl Ansätze. Das Dortmund-Spiel etwa hat meinem Team fußballerisch einen Schub gegeben. Deshalb habe ich mich über die Niederlage in Mainz, wo wir sehr benachteiligt wurden, ja so geärgert. Mit einem weiteren Sieg wären wir tabellarisch ganz anders dagestanden. Das hätte vor allem wieder neues Selbstvertrauen gegeben.

Was sind die weiteren Punkte für den nachhaltigen Erfolg beim VfB?

Man sollte unserer Arbeit weiter vertrauen - was ja auch geschieht. Die Jugendarbeit ist außerdem eine wichtige Säule des Vereins. Obendrein müssen wir weiter auf dem Transfermarkt so viele Treffer wie zuletzt erzielen.

Längerfristig ins Bundesliga-Mittelmaß abzusacken, dürfte Ihre persönlichen Ansprüche aber nicht befriedigen.

Natürlich will auch ich auf die internationale Bühne zurück. Da habe ich gerade beim HSV tolle Erfahrungen gemacht. Der europäische Fußball ist ja noch mal eine andere Bühne als die Bundesliga. Es hat mir daher im Herzen wehgetan, als wir im Februar gegen Benfica Lissabon ausgeschieden sind. Aber ich habe in meiner Karriere auch gelernt, nicht den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen. In Leverkusen habe ich der Mannschaft zur Winterpause gesagt: Wir können Deutscher Meister werden, weil ich dran geglaubt habe. Im Nachhinein war das wahrscheinlich ein bisschen zu früh. Ich muss als Trainer deshalb hinterfragen: Sind wir beim VfB überhaupt schon so weit, um international dabei zu sein?

Sie haben gesagt, dass die Jugendarbeit eine Säule des VfB ist. Die A-Junioren sind derzeit aber nur Zehnter in der Bundesliga.

Die Platzierung ist für mich kein Problem. Wenn ich lese, dass wir bundesweit führend sind, was die Abstellungen der Juniorennationalspieler betrifft, dann stellt mich das zufrieden. Ich habe in der Länderspielpause bei Testspielen sechs Spieler aus dem jüngeren A-Jugend-Jahrgang mit eingebaut. Denn die älteren, die Stögers, Langs, Holzhausers spielen ja schon in der dritten Liga. Und was ich von den ganz Jungen gesehen habe, hat mir gefallen. Es ist also viel Potenzial da.

Wann sehen wir dann verstärkt junge Talente in der Profielf?

Neben Patrick Bauer haben wir den 20-jährigen Christoph Hemlein ja schon gebracht. Momentan ist noch kein anderer so weit, dass man sagen könnte: den bringe ich sofort in der Bundesliga. Aber man sieht bei dem ein oder anderen, dass er sich dorthin entwickeln kann. Ich habe auch den sechs Jungen gesagt: Hier in Stuttgart kann jeder eine Riesenchance bekommen. Ihr werdet maximal gefördert und gefordert. Aber ihr müsst auch Geduld haben.

Sind Sie sicher, dass Sie im schnelllebigen Bundesligageschäft die Früchte auch selbst ernten können?

Das hoffe ich! Da schaue ich mir zum Beispiel an einem freien Samstag zuerst unsere U19 und dann oben auf der Waldau die U23 an. Manchmal frage ich mich dann schon: Warum machst du das? Weiß ich denn, ob ich in zwei Jahren noch der VfB-Trainer bin, wenn die Jungs reif sind? Eigentlich heißt es doch in der Bundesliga: Schau, dass du kurzfristig das Beste rausholst. Aber mir geht es auch um meinen eigenen Anspruch. Ich gebe den Jungs Tipps und hoffe natürlich, dass ich später auch in den Genuss komme, sie beim VfB in der Bundesliga auf dem Rasen zu erleben. Aber glauben Sie nicht, dass mit mir als jungem A-Jugend-Spieler jemals der Bundesligatrainer gesprochen hätte. Für den war ich Luft.

Wie lautet angesichts der aktuellen Lage Ihre Zukunftsprognose für den VfB?

Wir müssen einen Spagat hinbekommen. Trotz der finanziellen Vorgaben, die wir zu bewältigen haben, dürfen wir nicht an sportlicher Substanz verlieren. Wir haben den Abstieg verhindert und müssen nun im nächsten Schritt stabiler werden. Wenn wir das hinbekommen, haben wir alle Chancen, voll anzugreifen.