Minderwertige Brustimplantate bringen eine 28-Jährige in Gefahr. Auf ihren großen Busen will sie aber dennoch nicht verzichten.
Freiburg - Es ist knapp gewesen für die junge Freiburgerin. "Hätten wir noch ein, zwei Tage mit dem Eingriff gewartet, läge ich jetzt 1,80 Meter unter der Erde", sagt Gabriele Peters (Name geändert). Die zierliche 28-Jährige mit den dunklen halblangen Haaren, den leuchtend braunen Augen und den schwarzen Locken nippt im Café an ihrem Cappuccino. Sie kommt von der Nachuntersuchung ihrer neuen Brustimplantate aus der Uniklinik.
Der Arzt sei zufrieden. Die Optik des Busens stimme, und Beschwerden hat Peters auch kaum noch. Keine Gefahr mehr. "Jetzt ist alles gut", sagt sie überzeugt und zögert doch. "Damals habe ich das allerdings ja auch gedacht." Peters ist die erste Frau, der an der Uniklinik Freiburg die gefährlichen Silikonkissen entfernt worden sind, die derzeit Schlagzeilen machen. Das war vor anderthalb Jahren.
Dass in ihrer Brust eine Zeitbombe tickte, ahnten weder die Altenpflegerin noch ihre Ärzte. Drei Jahre ist alles gutgegangen. 2007 erfüllt sich die damals 23-Jährige einen lang gehegten Wunsch. Sie lässt ihre Oberweite von Körbchengröße A auf C wachsen. Warum eigentlich? Peters, die eine dunkelblaue Jeans zur orangefarbenen Bluse und Ohrklipps in Herzchenform trägt, ist eine attraktive Erscheinung. Sie wirkt selbstbewusst, optimistisch, ist eloquent und weiß offenbar genau, was sie will.
Kaum vorstellbar, dass diese Frau mit Teilen ihres Körpers früher unzufrieden war, gar Minderwertigkeitskomplexe hatte und dringend etwas ändern wollte. Doch es muss so gewesen sein. "Ich hatte psychische Probleme, fühlte mich im Bikini unwohl und beneidete andere um ihr Dekolleté", sagt sie. "Schon mit 16 stand für mich fest, dass der Busen vergrößert wird."
Die Diagnose dauerte lange
Einem Schönheitschirurg, bei dem eine Freundin arbeitet, schenkt sie schließlich ihr Vertrauen. Der geschäftstüchtige Mediziner vermittelt die notwendige Finanzierung - alles aus einer Hand, wie bei einem Neuwagenkauf. 4900 Euro kosten die neuen Brüste. Über das Aussehen der Implantate wird da zwar gesprochen, und darüber, dass sie lebenslang halten sollen. Über den Hersteller macht sich Peters aber keine Gedanken. "Ich habe mich ganz auf den Operateur verlassen. Vielleicht war das ein wenig blauäugig." Der Arzt freilich fällt, wie viele andere, auf Betrüger herein.
500.000 Frauen weltweit sollen von dem Skandal betroffen sein, mindestens 700 in Baden-Württemberg. In Peters' Fall stammen die Kunststoffkissen von der niederländischen Firma Rofil. Die galten zunächst nicht als verdächtige Billigprodukte. Heute weiß man aber, dass die niederländische Firma Rofil von dem französischen Hersteller PIP beliefert wurde. Der hat Kontrollen wohl unterlaufen und Industriesilikon verwendet, das heraussickern, sich im Körper verteilen und Entzündungen auslösen kann. Auch reißen die Kissen öfter als bei anderen Herstellern.
2010 ist es auch bei Gabriele Peters so weit. An einem Wochenenddienst in jenem Sommer bekommt sie plötzlich hohes Fieber, die Lymphknoten schwellen an, und eine medizinische Odyssee beginnt. Peters wird Blut abgenommen, sie wird in die Kernspinröhre geschoben, mit Ultraschall und Röntgengeräten untersucht. Man tippt auf eine Grippe oder eine Blasenentzündung, denkt an Aids, schließt andere Geschlechtskrankheiten aus, zieht Toxoplasmose in Erwägung oder das Pfeiffer'sches Drüsenfieber. "Die haben mich auf alles untersucht, was es gibt. Stets war das Ergebnis jedoch negativ."
Warnender Artikel beim Fachmagazin abgeblitzt
hre Temperatur steigt zeitweise über 40 Grad. Klar ist schließlich, dass die Lymphknoten entzündet sind und sich ein Flüssigkeitssaum um die Brust gebildet hat. Mit dem Befund konfrontiert Peters ihren Schönheitschirurgen. Der schließt einen Zusammenhang mit den Implantaten aus. Ein Freund rät ihr nun dringend, die Uniklinik zu konsultieren. Das tut sie - fast im letzten Moment, wie Peters meint. Andernfalls hätte eine Blutvergiftung gedroht. "Ich bin froh, dass ich noch lebe."
Zurückhaltender drückt sich freilich Florian Lampert aus. "Wir wissen bis heute nicht, was Frau Peters genau gehabt hat", sagt der Assistenzarzt der Abteilung plastische Chirurgie an der Uniklinik. Er hat Peters nicht nur die zum Teil gerissenen Implantate, das ausgelaufene Silikon und die Lymphknoten herausoperiert, sondern damals auch eine breitere Öffentlichkeit auf die Probleme aufmerksam machen wollen.
Deshalb verfasste der heute 32-Jährige einen Aufsatz, reichte ihn bei einer führenden Fachzeitschrift ein - und blitzte ab. Das Thema sei bekannt, Lamperts Beitrag wissenschaftlich zu unergiebig, hieß es. Tatsächlich kursierten 2010 ja schon Warnungen etwa des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte, nur erreichen diese offenbar lediglich wenige Patienten und Chirurgen.
Totale Kontrolle hemmt Innovationen
Darüber schüttelt auch Professor Björn Stark aus Freiburg den Kopf. "Wenn ein Automodell defekte Bremsen hat, kommt das sofort im Radio", sagt der Chefarzt und zieht so einen Vergleich. "Es hätte zumindest eine Ad-hoc-Warnmeldung über das ,Deutsche Ärzteblatt' geben müssen." Stark, der als Erster in Baden-Württemberg einen Lehrstuhl für Plastische Chirurgie bekam, verfolgt die nun entbrannte Debatte über die Sicherheit von Medizinprodukten und warnt vor Schnellschüssen.
Totale Kontrolle gebe es nur in totalitären Systemen. Die Forderung etwa, die Zulassung solcher Erzeugnisse, zu denen auch künstliche Knie oder Hüften zählen, generell so zu reglementieren wie bei Arzneimitteln, hält er für überzogen. Die Verfahren dauerten dann zu lange und würden wohl auch zu teuer. "Das hemmt Innovationen", sagt der Professor. "Dann hätten wir noch Herzschrittmacher wie vor 20 Jahren, und viele Patienten, denen wir mit neuen Geräten helfen konnten, wären jetzt tot."
Andererseits sieht Stark durchaus Reformbedarf. Ein Register etwa, in dem alle Implantate erfasst und bei dem Komplikationen gemeldet würden, könnte helfen, Probleme zu erkennen und Patienten rasch darüber zu informieren. Auch den Vorschlag, öfter die Hersteller unangekündigt etwa durch den Tüv zu kontrollieren, unterstützt der Freiburger. Und er kritisiert, dass sich Mediziner "Schönheitschirurg" nennten dürften, ohne eine entsprechende Facharztausbildung zu haben. Der Professor selbst steht aktuell übrigens gut da.
Anders als an den Unikliniken Tübingen oder Heidelberg wurden an der Uni im Breisgau keine Pfuschimplantate verwendet. "Ich bin da sehr konservativ und vertraue seit Jahren nur zwei Herstellern, die auch in Amerika zugelassen sind", sagt der Professor zur Erklärung.
"Mit lokalen Maßnahmen lässt sich das Problem wohl lösen"
Kein Wunder, dass seine und Lamperts Expertise nun gefragt sind. Frauen rufen an und erkundigen sich, weil sie nach ihrer Brustvergrößerung besorgt sind. Auch niedergelassene Kollegen suchen Rat. "Uns wird aber nicht die Tür eingerannt", berichtet Lampert. Ohnehin sieht der Fachmann keinen Grund zur Panik. Gesundheitliche Langzeitfolgen - etwa ein höheres Krebsrisiko - hält der Mediziner für unwahrscheinlich.
"Mit lokalen Maßnahmen lässt sich das Problem wohl lösen", sagt Lampert. Darauf verlässt sich auch Gabriele Peters. "Die Dinger sind raus. Damit ist alles gut." Für neue Silikonkissen hat sie nochmals rund 3000 Euro ausgegeben - wieder finanziert. Zweifel an der Entscheidung befallen sie nicht. "Ich empfehle das jederzeit meinen Freundinnen. Allerdings würde ich es nur noch an der Uniklinik machen lassen."
Implantate und andere Hilfsmittel
Medizinprodukte Dazu zählen ebenso Implantate wie Silikonkissen und Hüftprothesen oder ärztliche Instrumente und medizinische Geräte, etwa Röntgenapparate. Auch andere Produkte, die medizinisch wichtig sind, zählen dazu, etwa Verbandstoffe und sogar Kondome. In die höchste der vier Risikoklassen gehören Brustimplantate, künstliche Gelenke und Herzschrittmacher. Kategorie Die Wirkungsweise von Medizinprodukten ist in erster Linie physikalisch. Daher greifen sie im Gegensatz zu Arzneimitteln nicht in das Immunsystem oder den Stoffwechsel ein - zumindest sollten sie dies nicht tun. Die Voraussetzungen, unter denen ein solches Produkt auf den Markt kommen darf, und wie es überwacht wird, regelt das Medizinproduktegesetz.
Prüfung Anders als Arzneimittel, die ein sehr umfangreiches klinisches Prüfungsverfahren absolvieren müssen, werden Medizinprodukte von zertifizierten Prüfstellen, etwa dem Tüv, untersucht - in teilweise aufwendigen Verfahren. Diese "Benannten Stellen" stehen dafür gerade, dass ein Produkt das CE-Kennzeichen erhält, also die rechtlichen Anforderungen der EU erfüllt.