Konsalik und Zola, alte Gesangbücher, Märchenbände, Fachbücher – mal gut erhalten, mal heftig ramponiert – hat der Gutachter Alain Haezeleer bei einer Gratis-Sprechstunde für Lesefans in der Waiblinger Stadtbücherei beurteilt.

Waiblingen - Das wunderbare Bilderbuch“ macht seinem Namen alle Ehre. Hanne-Marthe Helmig schlägt es unter den Augen von Alain Haezeleer auf. Der Antiquar und Gutachter bietet an diesem Samstag mit seiner Frau Ursula eine kostenlose Büchersprechstunde in der Waiblinger Stadtbibliothek an – und schätzt Alter und Wert der gebrachten Bände. Die erste Seite in Hanne-Marthe Helmigs Bilderbuch zeigt eine farbige Lithografie mit der Überschrift „Der boshafte Kobold“, darunter sind vier Menschen zu sehen. Mit geübtem Griff legt die 87-jährige Waiblingerin eine Klapptafel um – und siehe da, plötzlich haben die vier Gestalten Tier- statt Menschenköpfe. Einfach wunderbar.

 

„Das Buch habe ich schon sehr oft angeschaut“, sagt seine Besitzerin, „es ist in der Familie herumgereicht worden und hat mehrere Kriege mitbekommen.“ Das sieht man dem Klappbilderbuch, auf dessen Vorsatzblatt „Luise Hoffmann, 1874“ steht, an. Alain Haezeleer setzt seine Brille auf, greift sich eine Lupe und nimmt das fast 150 Jahre alte Buch genau in Augenschein. „Der Einband wurde irgendwann neu gemacht“, sagt er bedauernd. Auch die nachträglich angebrachten Buchecken aus rotem Leinen finden nicht seine Zustimmung.

Handkolorierte Steindrucke

Die bunten Bilder hingegen schon. „Das sind handkolorierte Lithografien“, sagt Alain Haezeleer und meint dann: „Das Buch hier ist eines der schönsten, das wir heute gesehen haben.“ Sein Fazit: Wäre der Band in einem guten Zustand, hätte er einen Wert von mehr als tausend Euro. Doch das sei eben leider nicht der Fall.

„Gut erhaltene Kinder- und Kochbücher zu finden, ist sehr schwierig“, sagt Ursula Haezeleer. Kein Wunder, schließlich blättern ihre Eigentümer meist wieder und wieder die Seiten um, so wie Hanne-Marthe Helmig und ihre Vorfahren. Die Waiblingerin nimmt den Befund der Fachleute gelassen: „Ich finde es toll, dass sie das kostenlos machen.“

Unsachgemäßes Flickwerk, Stockflecken, zerrissene oder komplett fehlende Seiten – das Ehepaar Haezeleer bekommt an diesem Samstag so manchen Patienten zu sehen, für den es keine Hoffnung mehr gibt. Um die 40 Buchfans kommen in der Bücherei vorbei und ziehen die unterschiedlichsten Druckerzeugnisse aus Einkaufstaschen, Plastiktüten und Kartons: alte Gesangbücher und Schulliteratur, eine Gesetzessammlung von 1900 mit Wasserschaden, Schillers Dramen, Volksausgaben von Wilhelm Busch, alte Märchenbücher.

„Nur alt genügt nicht“, sagt jedoch Ursula Haezeleer. Was zähle, sei beispielsweise die Höhe der Auflage, der Zustand eines Buchs, die Typografie, der Einband, die Illustrationen oder auch schlicht das Thema. So sei etwa eine vergleichsweise moderne Erstausgabe von „Harry Potter“ einiges wert, erzählt Alain Haezeleer, denn sie sei in einer Auflage von nur 500 Stück erschienen. Das Buch aus der Zeit um 1630, das ein Ratsuchender bringt, ist beeindruckend alt, aber durch Schimmel und Holzwürmer stark ramponiert – sein Wert für Sammler ist gering. Und das „Handbuch der deutschen Marine“ von 1917? Es ist zwar einst in hoher Stückzahl gedruckt worden, was den Wert im Allgemeinen mindert, aber „vom Thema her nicht uninteressant“, sagt Ursula Haezeleer: „Gut möglich, dass Sie dafür 20 bis 40 Euro bekommen. Probieren Sie doch mal, es hier auf dem Waiblinger Buchmarkt zu verkaufen.“ Denn, so ergänzt ihr Mann: „Es gibt nichts, wofür es keinen Sammler gäbe, wenn es nur speziell oder verrückt genug ist.“

Suche nach absoluten Raritäten

So ist der gebürtige Belgier Alain Haezeleer, der seit fast 40 Jahren im Raum Stuttgart lebt, und sagt, die Weltoffenheit habe ihn hergelockt, stets auf der Suche nach Besonderem, nach absoluten Raritäten. Die landen bei dieser Waiblinger Büchersprechstunde nicht auf dem Tisch. „Wir kaufen bei solchen Veranstaltungen ohnehin nichts an“, sagt Alain Haezeleer. Es gehe ihm dabei auch um Kultur und Bildung: „Wenn das ausstirbt, ist bald wieder Krieg.“ Dann nimmt er sich ein Buch des Cotta-Verlags über Reinecke Fuchs vor. „Ich wüsste gerne, von wann das ist“, sagt die Besitzerin. Der Fachmann tippt nach einem Blick auf die Illustrationen auf die 1850er-Jahre. Leider sei es nicht gut erhalten: „Aber es ist fantastisch zu lesen und zu zeigen. Behalten Sie es.“