Zwischen Drama und Komödie: Der norwegische Autor Erik Fosnes Hansen schreibt in „Hummerleben“ über den Niedergang eines schicken Berghotels und eine brüchige Idylle.

Stuttgart - Deine Mutter hat die Zeit verweht.“ Was für ein rätselhafter Satz – völlig unverständlich für den 14-jährigen Sedd, wie die Großeltern ihn abspeisen. Er wächst im großelterlichen Hotel in den norwegischen Bergen auf. Ein nobles Haus mit Schwimmbad und Minigolfanlage, in dem viel Wert auf Stil und Etikette gelegt wird. Für die Gäste immer das Beste. Sedd muss nach der Schule mit anpacken, er trägt als Hotelboy eigens für ihn geschneiderte Jacken und spricht schon wie seine Großeltern. „Der Tag hat nur 24 Stunden“ – aus seinem Mund klingt das besonders floskelhaft.

 

Sedds Eltern passten offenbar nicht in dieses distinguierte Lebensmodell, jedenfalls möchten die Großeltern am liebsten gar nicht von ihnen sprechen. Er wühlt sich durch Schubladen und Schachteln und entdeckt, dass seine Mutter die Musik von Donovan mochte und Hippiekleider getragen hat. Vielleicht hat sie sich in einen indischen Ashram abgesetzt. Sedd hört mit seiner Großmutter Schlager von Wencke Myhre.

Abonnieren Sie hier unseren Newsletter „StZ Lesezeichen“

Auch über das zweite Drama in dieser Geschichte wird mehr geschwiegen als gesprochen. Die Norweger machen in den achtziger Jahren lieber im warmen Süden Urlaub. Allein von Hochzeitsgesellschaften und Familienfeiern können Koch und Kellner nicht bezahlt werden. Das ist tragikomisch beschrieben. Anfangs kann man noch denken, dass der Herrenausstatter in Oslo knapp bei Kasse ist, weil er dem Großvater für den neuen Anzug keine Rechnung schicken, sondern lieber Bargeld sehen möchte. Aber es verhält sich umgekehrt; der Hoteldirektor ist nicht flüssig. Hinter der herrschaftlichen Fassade droht der finanzielle Abgrund.

Jubilierende Bestatter

Gleich zwei Dramen, trotzdem ist es ein sehr unterhaltsamer Roman. Skurril zum Beispiel die Jahrestagung der Bestattungsunternehmer in der Abgeschiedenheit des Berghotels mitsamt deren Jubelgesang auf Unfälle mit möglichst vielen Toten. Auch die aus Deutschland angereisten Angelfreunde sind ulkig beschrieben: Sie lassen sich, den Flachmann locker im Angler-Outfit, jeden Unsinn als norwegische Tradition verkaufen.

Der Roman fängt großartig an, man fällt förmlich hinein in die Geschichte. Die Mischung aus Drama und Komödie setzt filmreife Spannungsmomente. Aber wenn der Großvater die Geduld seiner Gäste strapaziert, indem er ungefragt und weitschweifig die Geschichte des Hotels referiert, dann hätte man das auch ohne langatmige Passagen verstanden. Einige Kürzungen hätten dem Roman noch mehr Pfiff gegeben.

Erik Fosnes Hansen, 54, stammt aus Oslo. Hummerleben ist sein fünfter Roman. Das Löwenmädchen zum Beispiel ist auch verfilmt worden. Er hat einige Semester in Stuttgart studiert, spricht gut deutsch und wird deshalb auch gerne zu Lesungen nach Deutschland eingeladen, zum Beispiel am 23. September in das Literaturhaus Stuttgart.

Erik Fosnes Hansen: Ein Hummerleben. Roman. Kiepenheuer und Witsch, 382 Seiten, 24 Euro.