Schon viele Leute haben über New York geschrieben, aber so schön wie in Iris Hanikas neuer Roman „Echos Kammern“ haben sich modernes Großstadtleben und Mythos selten umschlungen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Um einen Eindruck von diesem ungewöhnlichen Roman zu geben, könnte man so tun, als ginge es darin um eine nicht mehr ganz junge Schriftstellerin, die von Berlin nach New York aufgebrochen ist, um ihrem Leben eine neue Wendung zu geben. Sie spaziert durch die Straßen Manhattans und lebt etwas aus, was man wohl ein literarisches Klimakterium nennen könnte, den Wechsel von der Lyrik zur Prosa, denn irgendwann ist die Zeit für Gedichte vorbei. Sie hat sich vorgenommen ein Buch über die Stadt zu schreiben, ein Vorhaben, das ihr zusehends unheimlich wird, weil ihr nahezu täglich ein deutsches Buch über New York in die Hände fällt.

 

Ein solches aber wie „Echos Kammern“, soviel ist gewiss, dürfte nicht dabei gewesen sein. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Schriftstellerin, die übrigens Sophonisbe heißt (googlen!), als Unterscheidungsmerkmal eine seltsame Sprache erfunden hat, die für deutsche Ohren wohl so ähnlich klingt, wie für amerikanische ihr einigermaßen unperfektes Englisch: „Ich will berichten von was ich habe gesehen und was ich habe erlebt in New York City.“ So beginnt ihr Manuskript, das in Auszügen den Fluss der Erzählung immer wieder unterbricht.

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Und wenn wir schon bei unterbrechen sind, ist es hier vielleicht an der Zeit ein paar Worte über die Autorin von „Echos Kammern“ zu verlieren: Iris Hanika, eine nicht mehr ganz junge Schriftstellerin, die einmal zum Autorenteam der berühmten Berliner-Seiten der FAZ zählte und in ihren Romanen intellektuelles Treibgut, klassische Mythen, Pop und was sich sonst noch so auf den Straßen findet zu beglückenden Geschichten zusammenfabuliert, die nur den einen großen Nachteil haben: man kann sie beim besten Willen nicht nacherzählen. Weshalb wir uns zunächst mit dem umwerfenden Urteil einer namenlosen Rezensentin im Netz über einen früheren Hanika-Roman behelfen: „Das Lesen dieses Buches ist keine sinnlose Tätigkeit“. Was allerdings schamlos untertrieben ist, sinnvollere Tätigkeiten als sich an der Seite Sophonisbes durch New York und später wieder Berlin zu schlagen, sind zumindest lesenderweise kaum denkbar.

Auf einer Party bei Beyoncé

Wo sonst würde es einem passieren, zusammen mit beunruhigend schönen Menschen auf einer Party der Pop-Sängerin Beyoncé einen jungen Prinzen, der über ukrainische Geschichte promoviert, kennenzulernen und schließlich in dem goldenen Upper-Class-Käfig zu landen, in dem Sophonisbes früherer Bekannter Bedolf ein „den Verwertungszusammenhang vollkommen negierendes Leben ohne Sorgen“ führt. Bedolf ist übrigens der ältere Brüder von Siegwart, und trug eigentlich einen Namen, den seine aus einer jüdischen ukrainischen Familie stammende Frau lieber mit Alf abkürzt.

Alf, Bedolf oder wie nun immer heißt war früher mit der in Berlin lebenden Roxane (googlen!) zusammen, die mit Ratgebern wie zum Beispiel „Über den Umgang mit Verrückten und Wütenden“ reich und bekannt wurde. Weshalb sich die Geschichte irgendwann pfeilgerade von New York nach Berlin verlagert, wo Sophonisbe bei Roxane einzieht und letztere sich unsterblich in den auf der Durchreise in die Ukraine befindlichen jungen Prinzen verliebt. So viel Handlung muss fürs erste genügen.

Wie man in einen Roman hineinruft, schallt es aus ihm zurück, zumal wenn er den Titel „Echos Kammern“ trägt. Man könnte zum Beispiel nach Sophonisbes Erfahrungen in New York den Begriff Gentrifizierung hineinrufen, und schon klingt aus den Straßenschluchten aus teuren Geschäften, schön renovierten Häusern und Luxus-Wohnungen jenes „not for you, nur für die Reichen“ zurück, dessen Echo auch transatlantisch widerhallt – oder in der Sprache Sophonisbes: „Berlin-Kreuzberg schon fast ist geworden ein solcher Ort.“ Mit leichter Hand wird hier im Vorbeigehen skizziert, was modernes Großstadtleben prägt, Entwicklungen und Milieus zwischen Hardcore-Spekulation, Party-Kapitalismus und den „fiktiven Subjektivitäten“ des internationalen Livestyle-Mittelstands.

Hoher Ton und Rumpfsprache

Ein kräftiges Echo auf die Ereignisse schallt aber natürlich auch aus den Bildungshintergründen zurück, aus denen die Heldinnen dieses Romans zu ihren Vornamen gekommen sind. In den Reflexionen der Geschichte der Nymphe Echo und des schönen Knaben Narziss, wie sie der römische Ovid erzählt hat, spiegelt sich nicht nur, was in den Verständigungsprozessen heutiger Liebender schiefläuft. Man entdeckt dabei auch sehr lustige Ähnlichkeiten zwischen dem hohen Ton des lateinischen Verwandlungskünstlers und der radebrechenden Rumpfsprache Sophonisbes.

Ihr steht die verbindende Kraft der grammatikalisch in feinste Nuancen ausgereiften Erzählkunst Iris Hanikas gegenüber. Ihr wunderbar verwinkelter Roman selbst ist eine zwischen Rom, New York und Berlin gebaute Echo-Kammer. In der durch die Herrschaft des Geldes immer ähnlicher und unwirtlicher werdenden Welt nimmt sie den Leser mit allumfassender Weisheit und Freundlichkeit auf. Nicht, um sich darin selbst zu genügen, sondern um die Kunst als die bessere Wirklichkeit zu erweisen.

Iris Hanika: Echos Kammern. Roman. Literaturverlag Droschl. 240 Seiten, 22 Euro.