Die Helmut-Baumann-Stiftung legt einen Gesamt-Überblick zum Leben und Werk des Göppinger Künstlers vor. Das Buch zeigt viele Facetten von Helmut Baumann, die bislang nicht im Fokus standen.

Region: Corinna Meinke (com)

Göppingen - Als einen fast vergessenen, aber typischen Vertreter der südwestdeutschen Moderne des 20. Jahrhunderts bezeichnet der Radolfzeller Kunsthistoriker Andreas Gabelmann den 1894 geborenen Maler Helmut Baumann. Der Künstler wuchs in Süßen auf und arbeitete dort, ehe er 1930 nach Göppingen umzog. Gabelmann hat im Auftrag der Göppinger Helmut-Baumann-Stiftung Leben und Werk Baumanns aufgearbeitet und kunstgeschichtlich eingeordnet. Herausgekommen ist ein Band, der einen ausführlichen Überblick bietet.

 

Dabei hat sich der Autor sämtlicher Stilphasen und Werkbereiche, Motive, Techniken und Themen des Göppinger Malers angenommen, der zu seinen Lebzeiten offenbar so populär war, dass sich seine Bilder in vielen Göppinger Wohnungen wiederfanden. Gabelmann hat sich nach eigenen Worten das Ziel gesetzt, den Maler Baumann der Vergessenheit zu entreißen, um ihm „seinen festen Platz in der regionalen Kunstgeschichte“ zuzuweisen, denn Baumanns Person und Werk seien für ihn eine echte Entdeckung gewesen.

Blick auf das vernachlässigte abstrakte Werk

Während Baumanns gegenständliche Bilder nach Auffassung des Experten die meiste Anerkennung genossen, lege das neue Buch den Fokus auf das kaum bekannte und eher vernachlässigte abstrakte Werk. Damit solle die Neugierde gewissermaßen auf „den neuen Baumann“ gelenkt werden. Gabelmann attestiert dem Maler einen großen Schaffensdrang und eine immense Experimentierlust. So sei der Autodidakt, der seinen Lebensunterhalt als Volksschullehrer verdiente, offen gewesen für die unterschiedlichen Stilrichtungen der frühen Moderne.

Befreundet mit Oskar Schlemmer, der ihm offenbar ein wichtiger Impulsgeber und Dialogpartner war, habe sich der Göppinger frei von akademischer Tradition und Konvention von einer modernen Kunstauffassung leiten lassen, nach der ein Bild eigenen Gesetzen gehorche und Unsichtbares sichtbar machen könne.

Das Denken und Fühlen eines Malers

Einblicke in das Denken und Fühlen des Malers hat dem Autor unter anderem der intensive Briefwechsel Baumanns mit seinem Freund, dem Göppinger Arzt Erich Steinthal aus den Jahren 1946 bis 1978 geboten, aus dem Gabelmann zitiert.

Angestoßen worden ist das Buchprojekt der Helmut-Baumann-Stiftung von der ehemaligen Galeristin und Nichte Baumanns, Trude Kränzl, sowie dem unlängst verstorbenen Süßener Stadtarchivar Werner Runschke.

Die Neuerscheiung trägt den Titel „ Helmut Baumann, zwischen Gegenstand und reiner Form“. Herausgeber ist die Göppinger Helmut-Baumann-Stiftung. Der Band hat 176 Seiten, zeigt zahlreiche farbige Werkabbildungen sowie Fotos und kostet 20 Euro.

Interview mit der Baumann Nichte Trude Kränzl

Als Kind erlebte Trude Kränzl ihren Onkel Helmut Baumann als fröhlichen Geschichtenerzähler in geselliger Runde, später übersetzte sie ihm die Briefe an seine französischen Künstlerfreunde, und schließlich widmete Kränzl Baumann in ihrer Göppinger Galerie, die sie von 1997 bis 2009 in der ehemaligen Schreinerwerkstatt ihres Vaters in der Davidstraße betrieb, eine Ausstellung zu seinem zeichnerischen Werk.
Frau Kränzl, was für ein Mensch war eigentlich Ihr Onkel, welche Erinnerungen haben Sie an ihn?
Mein Onkel Helmut war unheimlich gesellig, und wenn es Familienfeste gab und alle in fröhlicher Runde am zweimal ausgezogenen Tisch saßen, hat er gerne lustige Geschichten und Anekdoten aus seiner Zeit als Lehrer erzählt. Da haben wir viel gelacht. Später habe ich ihm seine Briefe an seine französischen Freunde übersetzt. Er war ja mit vielen Künstlern befreundet und stand mit ihnen in regem Kontakt.
Und Frankreich war für ihn ja wohl so etwas wie seine zweite Heimat?
Ja, unbedingt. Schon seit Ende der 1920er Jahre reiste er immer wieder nach Südfrankreich. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg bedeutete der Süden für ihn Genesung, denn die Kriegsjahre hatten ihn unheimlich mitgenommen, er ist darüber regelrecht krank geworden.
Was hat Baumann im Süden gesucht?
Ich glaube, der Süden hat ihm wieder Kraft und Freude im Leben und an der Arbeit gegeben. Allein schon durch das Licht und die Farben der Landschaft. Und über die Zigeuner von St. Marie sagte er einmal, er habe über sie wieder zum Zeichnen gefunden. Er hat dort sehr einfach gelebt und zur Provence eine innige Beziehung erfahren. Als die Gegend vom Tourismus entdeckt und entsprechend teuer wurde, zog er weiter nach Nordspanien in den Küstenort Llansá. Aber mein Onkel liebte auch Paris und das pulsierende Leben. Paris, so sagte er, war das, was ihn zum Maler machte. In den 50er Jahren traf er dort auch Alberto Giacometti, in dessen Atelier er später zeichnete. Viel später, als ich dann als Lehrerin mit meiner Klasse nach Paris fuhr, begleitete er uns und erklärte meinen Schülern die Kunst.
War ihm das ein Anliegen als Pädagoge?
Das ist sicherlich so. Er konnte in seiner Begeisterung die Schüler richtig mitreißen. So ging er mit ihnen ins Jeu de Paume und erklärte ihnen die Impressionisten. Helmut Baumann hat die Kulturarbeit in Göppingen über viele Jahre geprägt in Mal- und Volkshochschulkursen zur Kunstgeschichte. Er steigerte sich in seine Themen voll hinein. Ich war öfters bei seinen Vorträgen zur Kunst und erinnere mich, er war oft so erregt, dass er am ganzen Körper zitterte, wenn er zum Beispiel über Tizian oder Picasso sprach.
Wo hat Baumann eigentlich in Göppingen gemalt?
Er malte viel im Freien, sein Atelier hatte er in dem ehemaligen Gewächshaus der Gärtnerei Kapphan, das später abgerissen wurde. Es stand in etwa südlich der Oberhofenkirche.
Im Jahr 2001 haben Sie in Ihrer Göppinger Galerie, die Sie als „Forum für zeitgenössische Kunst“ betrieben, Werke Ihres Onkels ausgestellt. Wie kam es dazu?
Ich wollte seine noch nie gezeigten Ölbilder und Zeichnungen aus Privatbesitz zeigen. Dabei habe ich den Zeichner Baumann in den Fokus gerückt und ihm mit der Ausstellung einen kleinen Katalog gewidmet. Die meisten kennen Helmut Baumann nur als gegenständlichen Maler, und es hängen ja auch viele Baumannbilder in Göppinger Wohnungen. Er hat natürlich vieles gemacht, weil er Geld verdienen musste, damit finanzierte er auch seine Reisen und seine fantastische Sammlung an Kunstbänden und Erstausgaben. Sein abstraktes Werk hielt er zurück. Lange Zeit hat davon kaum jemand in Göppingen etwas gewusst. Dabei hat er immer parallel geschafft, gegenständlich und abstrakt. Ohne sich zu schonen, arbeitete er hingebungsvoll und war künstlerisch immer am Ball der Zeit.
Was meinen Sie damit?
Beim genauen Betrachten kann man fest-stellen, dass er schon in den fünfziger und sechziger Jahren viele abstrakte Elemente in seine gegenständlichen Bilder eingefügt hat. Meiner Meinung nach war er lange ein vernachlässigter Künstler, dabei haben seine Zeichnungen, Ölbilder, Collagen und Materialbilder die ganze Palette der Kunst des 20. Jahrhunderts abgedeckt. Dazu zählen auch seine Memoriambilder, mit denen er Künstlerfreunden, Weggefährten und Vorbildern, wie etwa Oskar Schlemmer, Georges Braque, Picasso und Fernand Leger, also den großen Meistern der Klassischen Moderne, ein Denkmal gesetzt hat.
Mit dem neuen Buch wird nun auch Helmut Baumann ausführlich gewürdigt.
Ja, und darüber bin ich natürlich sehr glücklich, denn nun kann er wieder entdeckt werden. Zu seiner Zeit war er in der Region ja sehr bekannt. Es war uns in der Stiftung wichtig, dass seine Arbeiten nach heutigem Stand kunstgeschichtlich aufgearbeitet und eingeordnet werden, und das ist vor allem die Leistung des Autors Andreas Gabelmann.