Nicht Biografie, sondern Roman: Der französische Autor Olivier Guez hat in Ludwigsburg sein Buch über den Kriegsverbrecher Josef Mengele vorgestellt. Wie geht er mit dessen Gräueltaten um?

Ludwigsburg - Hätte man vor 20 Jahren sehen können, in welchem Zustand sich Europa 2019 befindet, hätte man das für einen Albtraum gehalten, glaubt Olivier Guez: „Wir leben in einer fast perfekten Demokratie, aber wir haben kein Gedächtnis mehr und keine Wahrheit.“ Das sei ein idealer Nährboden für Manipulatoren. Der französische Autor will verhindern, dass Dinge in Vergessenheit geraten – vor allem schreckliche. Im Mittelpunkt seines jüngsten Romans steht einer der monströsesten Menschen des 20. Jahrhunderts: der KZ-Arzt Josef Mengele. Kann man überhaupt ein Buch über die Gräueltaten des sogenannten Todesengels von Auschwitz schreiben?

 

„Ich kann es jedenfalls nicht“, sagte Guez, der am Dienstag auf Einladung des Fördervereins Zentrale Stelle im Ludwigsburger Staatsarchiv seinen Roman „Das Verschwinden des Josef Mengele“ vorstellte. Das Buch ist seit seinem Erscheinen in Frankreich vor zwei Jahren in 30 Sprachen übersetzt worden und hat entsprechend Furore gemacht.

Kaum lesbare Schilderungen der Grausamkeit

Die Passagen, in denen es explizit um Mengeles Verbrechen geht, habe er von dem ungarischen Juden Miklos Nyiszli übernommen, der dazu gezwungen worden war, bei den Experimenten an Menschen zu helfen. Dessen Bericht „Ich war Doktor Mengeles Assistent“ zu lesen, „ist fast unmöglich“, sagte Guez. „Es ist zu grausam.“ Er habe keinen Holocaust-Roman schreiben wollen, sagte der 44-Jährige, „sondern ein Buch über den Umgang mit den Verbrechen“.

Sexszenen und Familiengespräche

Der Fördervereinsvorsitzende Hans Pöschko, der das Gespräch moderierte, erinnerte daran, dass vor allem deutsche Literaturkritiker hart mit dem Roman ins Gericht gegangen seien. Manche störten sich zum Beispiel an Sexszenen, andere daran, dass Guez ein Gespräch zwischen Vater und Sohn wiedergibt, das niemand dokumentiert oder mit angehört hat.

„Ich verstehe, dass Historiker das ablehnen“, sagte der Autor. „Ich habe auch sehr viel zu dem Thema gelesen, ich hätte auch eine 600-seitige Biografie schreiben können. Aber wer hätte die gelesen?“ Er habe sich für die Romanform entschieden, weil er viele Leser erreichen wollte. Und obwohl er Szenen hinzuerfunden habe, erzähle er in seinem Buch die Wahrheit, beharrte Guez.

Im Fokus des Romans steht die Zeit, die der Auschwitz-Kommandant in Südamerika verbrachte. Mengele lebte immerhin noch 30 Jahre in Argentinien, Paraguay und Brasilien – nahezu unbehelligt von Bundesnachrichtendienst oder dem israelischen Geheimdienst Mossad.

Extrem junge Nazis

„Die zweite Hauptfigur in meinem Roman ist Adolf Eichmann“, erzählte Guez, „Mengele und Eichmann haben sich gehasst.“ Anders als Eichmann stammte Mengele aus gutem Hause. Und doch stand Eichmann in der Nazi-Hierarchie weit über Mengele, der nur Kommandant war. Nach dem Krieg sind die Rollen wieder vertauscht: Der eben noch unendlich mächtige Organisator der Judenvernichtung ist wieder ein Nichts. „Dieser Sozialkampf hat mich interessiert“, sagte Guez.

Zu den Lehren, die er aus seiner Beschäftigung mit Josef Mengele gezogen habe, gehöre, „dass wir nur zwei Ideen von den Nazis haben“. Entweder erinnere man sich an Schwarzweißfotos aus dem Krieg oder an alte Männ er auf der Anklagebank: „Aber die meisten waren extrem jung. Die waren am Kriegsende erst 30 bis 35 Jahre alt.“ Und dann saßen sie zu Hunderten in Südamerika und hofften darauf, dass Adenauer und die Bonner Demokratie bald scheiterten: „Die warteten tatsächlich darauf, in ein bald wieder nationalistisches Deutschland zurückzukehren.“