Unter dem Titel „Mord im Aufschwung“ hat der ehemalige Chef der Mordkommission Stuttgart jetzt sein zweites Buch über spektakuläre Mordfälle in der Landeshauptstadt veröffentlicht.

Stuttgart - Im ersten Band mit dem Titel „Trümmermorde. Spektakuläre Verbrechen im Stuttgart der Nachkriegszeit“ dokumentierte Michael Kühner aufsehenerregende Morde von 1945 bis 1958. Das zweite Werk des Vize-Polizeipräsidenten und Chefs der Stuttgarter Mordkommission a. D. knüpft direkt daran an: „Mord im Aufschwung. Stuttgarter Verbrechen im Schatten des Wirtschaftswunders“ schildert zwischen 1960 und 1970 begangene Morde. Wurden im ersten Buch sieben Fälle beschrieben, sind es diesmal nur drei: „Ich wollte noch genauer zeigen, wie sich Schicksale von Menschen auf einander zu bewegen, verstricken und unsägliches Leid verursachen“, erklärt Kühner.

 

Den zweiten Fall in seinem neuen Buch bezeichnet Kühner selbst als „einen der dunkelsten Fälle der Stuttgarter Kriminalgeschichte“. Es ist der Heilige Abend 1966: Im Polizeipräsidium im ehemaligen Hotel Silber an der Dorotheenstraße hoffen die diensthabenden Beamten auf eine ruhige Weihnacht. Um 19.27 Uhr kommt ein Mann, Erich D., in den Wachraum, will zur Mordkommission. Dort erklärt er, dass er an diesem Tag ein sechsjähriges Mädchen umgebracht hat. Das Kind war dem Mann zufällig über den Weg gelaufen, als es Getränke einkaufen wollte. Erich D. führt die Polizisten zum Tatort in einem Waldstück im Stuttgarter Süden: Das Mädchen ist mit Laub zugedeckt. Die Beamten legen die Leiche frei. Was sie sehen, ist kaum zu beschreiben: Der Oberkörper des Kindes ist aufgeschlitzt, aus dem Oberschenkel ist Fleisch herausgeschnitten. Es ist nicht der einzige Kindermord, den Erich D. begangen hat. Zwei Jahre zuvor hat er ein fünfjähriges Mädchen in der Altstadt entführt und in einem Gebäude an der Olgastraße ermordet. D. gesteht diese Tat – und widerruft, bis er sich so in die Enge getrieben fühlt, dass er keinen Ausweg mehr sieht. Die Antwort D.s laut Polizeiprotokoll auf die Frage, ob er die Taten bereue: „Mein Gott, es ist passiert, da kann man nichts machen. Jeder Mensch braucht mal einen Blitzableiter.“

Durch puren Zufall geraten die Ermittler an die Täter

Der erste Fall im neuen Buch beschreibt, wie zwei Männer aus Habgier zwei junge Frauen töten. Der Drahtzieher, René R., plant die Tat eiskalt, ohne jegliche Gefühlsregung. Weil er nach einer Tat ein „Vater unser“ betet, fühlt er sich moralisch auf der richtigen Seite. Immerhin brauchte er das Geld, um seine Ehe zu retten. Und da ihm die Opfer das nicht gegeben haben, so seine Logik, hatte er keine andere Wahl.

Im letzten Fall geht es um ein Liebespaar, das in einem Waldstück beim Schattenring ermordet worden ist. Zufällig kommt eine Streife an dem Parkplatz in der Nähe des Tatorts vorbei, trifft die Täter dort im Auto an, nimmt die Personalien auf. Das war es vorerst. Von dem Mord wissen die Beamten noch nichts. Bei einem Überfall auf eine Tankstelle werden die Täter später einen weiteren Mord begehen. Die Ermittler haben das Duo in Verdacht, können aber nichts beweisen. Ein Katz-und-Mausspiel beginnt.

Authentische Fälle, akribisch aufgearbeitet

Drei authentische Fälle, die Kühner akribisch und von allen Seiten beleuchtet: Er beschreibt, was die Opfer kurz vor ihrer Ermordung gemacht haben, wie es zur Begegnung mit ihren Mördern und zur Tat kam. Und wie die Polizei, die einzelnen Indizien wie ein Puzzle zu einem Gesamtbild zusammensetzte. Kühner zitiert aus den Originalprotokollen seiner Kollegen, unterbricht Schilderungen, in dem er abwechselnd die unterschiedlichen Perspektiven von Opfer, Täter und Ermittlern einblendet. Fotos von Tatorten, Tätern und Opfern belegen die Authentizität.

Dass Kühner in seinen Berichten immer sachlich bleibt, nicht urteilt oder verurteilt, erklärt er mit seinem Beruf: „Das ist nicht unser Job. Aufgabe der Polizei ist es, die Täter zu überführen.“ Für Kühner blieb lange die Frage: „Inwieweit ist jemand zum Mörder geboren, und inwieweit ist der freie Wille dafür entscheidend, ob ein Mensch zum Mörder wird oder nicht?“ Für sich hat Kühner die Frage beantwortet. Der Leser muss seine eigene Antwort darauf finden.