Buch über typisch deutsche Dinge Pril-Blumen und Toast-Hawaii
Kinderladen, Viagra oder Birkenstock-Latschen – Geschichte lässt sich auch an Gegenständen ablesen. Was sind die typisch deutschen Dinge, die prägend waren?
Kinderladen, Viagra oder Birkenstock-Latschen – Geschichte lässt sich auch an Gegenständen ablesen. Was sind die typisch deutschen Dinge, die prägend waren?
Ob junge Leute überhaupt noch wissen, was ein Flokati ist? Falls nicht, wäre es jammerschade, schließlich war in den 1970ern der Flokati das, was heute – ja, was eigentlich wäre? Gibt es überhaupt noch einen Einrichtungsgegenstand, der nicht nur nützlich, sondern auch politisch war, der für Aufbruch und sexuelle Freiheit stand und nebenbei noch die Ära der Wohnlandschaft einläutete? Der Flokati setzte Maßstäbe.
Zugegeben, auch die Amerikanerin Jane Fonda rekelte sich Ende der 1960er-Jahre auf einem Flokati, der aber doch auch ein Kapitel erhalten hat in dem neuen Buch „Deutsche Dinge“. Andreas Matlé, einst Discobetreiber und inzwischen Pressesprecher eines Energiekonzerns in Hessen, hat Bilanz gezogen, was für das Leben in der BRD und der DDR besonders prägend war. Herausgekommen ist eine kurzweilige Sammlung von praktischen und modischen, kuriosen oder auch angeblich gesunden Dingen, die die Menschen für ein paar Jahre in Deutschland für unentbehrlich hielten: etwa Lebertran. Der sollte die Kinder stärken – und hat ihnen nebenbei unvergessliche Erinnerungen an den wohl schlimmsten Geschmack ihres Lebens einverleibt. Und so präzise, wie Andreas Matlé diese Mischung aus ölig, tranig und fettig beschreibt, scheint er selbst als Kind mit Lebertran gequält worden zu sein. Eine Generation später kam dann Sanostol auf den Markt, süß und lecker.
Was ist deutsch? Eine heikle wie schwierige Frage. Aber diese 75 deutschen Dinge wollen keinen nationalistischen Stolz schüren, sondern eher sich wandelnde Mentalitäten aufzeigen und erzählen, was für viele Menschen prägend war: der Toast Hawaii, der eine schnelle Küche ohne Talent und Arbeit einläutete, oder der Super-8-Film, mit dem das Familienleben fortan regelmäßig dokumentiert wurde. In den 70er-Jahren hielten Pril-Blumen und Kassettenrekorder in den Haushalten Einzug, Fototapeten und schließlich Billy-Regale von Ikea. Zum Osten gehörten dagegen Trabi und Ost-Ampelmännchen.
Beim Blättern durch diese deutschen Dinge könnte man ständig „Ach, stimmt ja!“ ausrufen, sei es beim Tamagotchi oder dem Arschgeweih. Letztlich wecken die Dinge aber nicht nur individuelle Erinnerungen, sondern spiegeln auch Geschichte – ob es das RAF-Fahndungsplakat war, die Pille oder Viagra, Latte macchiato oder die Einführung des ICE. Es gab stets eine Stunde null, in der diese Dinge plötzlich auftauchten, in den Medien für Diskussionen sorgten – und sich dann im Alltag breitmachten.
Viele der deutschen Dinge sind heute selbstverständlich, die Höhensonne verschwand dagegen wieder, nachdem viele Familien brav vor den Klappgeräten gesessen und dem Werbeversprechen geglaubt hatten: UV-Strahlung „schützt euch vor Krankheit und gibt euch Kraft“.
Andreas Matlé: Deutsche Dinge. Droemer Verlag, 36 Euro