Eigentlich ist die Idee der Buchclubs mit Pflichtkäufen tot. Doch es gibt eine kleine, feine Ausnahme.

Stuttgart - Die Bücher der Kowalskis glichen dem Werkzeug des Vaters im Schuppen der Altstraße 2. Sahen benutzt aus, gebraucht, zugehörig denen, die sie besaßen. Zugehörig durch Gebrauch. Angeeignet. Ihre alten Bücher, erklärte Astrid, hätten die Eltern auf der Flucht im Krieg ja nicht mitnehmen können. Doch der Vater sei nicht nur in der IG Metall, Vertrauensmann seit Neuestem, auch Mitglied der Büchergilde Gutenberg.“

 

Diese Szene schildert die Schriftstellerin Ulla Hahn in ihrem vermutlich autobiografisch gefärbten Roman „Aufbruch“. Die Heldin Hilla, ein Mädchen aus kleinen Verhältnissen, besucht darin die Wohnung ihrer ebenfalls proletarischen Freundin Astrid. Und bemerkt einen Gegensatz: „Es gab eine Armut mit Häuschen und Garten und Kirche, und es gab die andere mit Büchergilde, Genossenschaftswohnung, Flugblattverteilen und acht Prozent mehr Lohn.“ Die eine Armut ging mit geistiger Enge einher, die andere mit Befreiung durch Bildung. Welch Anspruch! Er klingt heute fast wie aus der Zeit gefallen. Für diese zweite, die bildungshungrige Armut steht in Ulla Hahns Roman die Büchergilde Gutenberg. Die Buchgemeinschaft gibt es noch heute – und sie ist quicklebendig.Das ist keineswegs selbstverständlich. Die Geschichte der Buchclubs in Deutschland handelt von einem rasanten Aufstieg und einem steten Verfall. Nach einer ersten Blüte in der Weimarer Republik, erlebten die Buchgemeinschaften nach dem Zweiten Weltkrieg ihren zweiten Frühling. 1952 gehörten den 38 Buchclubs zusammen mehr als eine Million Mitglieder an, Ende der fünfziger Jahre gab es sogar 85 Buchgemeinschaften. Die Idee war überall gleich: Die Mitglieder verpflichteten sich, in regelmäßigen Abständen ein Buch abzunehmen.

Anfangs hatten sie keine Wahl – sie bekamen, was die Lektoren ausgesucht hatten. Später wählten sie aus einem begrenzten Angebot von Lizenzausgaben. Dafür waren die Preise günstiger als im Buchhandel. Das ging lange gut. Dann setzte als Erstes ein Konzentrationsprozess ein. Bis 1964 überlebten nur acht unabhängige Buchgemeinschaften. Den Kuchen der rund fünf Millionen Mitglieder teilten sich Reinhard Mohn, der Gründer des Bertelsmann Leserings, und Georg von Holtzbrinck, der von Stuttgart aus den Deutschen Bücherbund führte. Fernsehen, Taschenbücher, ein schnelllebiger Markt setzen den Unternehmen zu. 1989 stieg Holtzbrinck aus.

Heute gibt es nur noch drei Buchgemeinschaften. Der große Bertelsmann Club, der inzwischen unter dem seltsam anmutenden Namen „Zeilenreich“ firmiert, kämpft mit rapide sinkenden Mitgliederzahlen und einer häufig wechselnden strategischen Ausrichtung. Von den sechs Millionen Mitgliedern Anfang der neunziger Jahre ist kaum die Hälfte übrig geblieben. Dem Medienkonzern Bertelsmann ist der Club heute ein Klotz am Bein, dessen Umsatz in der Bilanz kaum noch eine Rolle spielt. Das Prinzip Buchclub, wenn man es als Massengeschäft betreiben will, ist tot. Immer weniger Menschen wollen sich dafür auf Dauer verpflichten, bestimmte, vorausgewählte Bücher zu kaufen, die bei Bertelsmann stets dem Massengeschmack entsprechen müssen. Die Taschenbuchausgabe der Bestseller folgt so dicht auf die gebundene Ausgabe, dass der günstigere Preis der Club-Ausgabe kaum noch jemanden überzeugt.

Wacker hält sich, außer dem Spezialfall Wissenschaftliche Buchgesellschaft, nur noch die kleine, feine Büchergilde Gutenberg. Sie war 1924 vom gewerkschaftlichen Bildungsverband der deutschen Buchdrucker gegründet worden. In der Satzung hieß es schon damals, sie wolle ihren Mitgliedern „inhaltlich gute Bücher in technisch vollendeter Ausführung und nicht alltäglicher Ausstattung zugänglich machen“. Während des Krieges bestand in der Schweiz ein durchaus erfolgreiches Exilunternehmen. 1947 gründeten Bruno Dressler, der die Büchergilde schon vor 1933 geführt hatte, und sein Sohn Helmut die Buchgemeinschaft in Deutschland neu. Zunächst mit Erfolg. 1962 zählte man auf dem Zenit 300 000 Mitglieder. Danach ging es abwärts. Unter dem Dach der Unternehmensholding der Gewerkschaften, mussten die Büchergildemitarbeiter ähnlich wie die der Gemeinwirtschaftsbanken und Wohnungsbaugenossenschaften erkennen, dass Gewerkschafter oft ziemlich schlechte Kapitalisten sind. Man vernachlässigte die Werbung neuer, jüngerer Mitglieder, behielt ineffiziente Strukturen bei. Ende der Neunziger wäre die Büchergilde fast gegen die Wand gefahren. Nur durch ein Management-Buy-out wurde sie gerettet. Vier leitende Mitarbeiter übernahmen den Laden. Zu ihnen gehörte Mario Früh, der heute vom Unternehmenssitz Frankfurt aus die Geschäfte führt.

Früh ist mindestens so sehr Bücherfreund wie Geschäftsführer. Will man sich mit ihm über nüchterne betriebswirtschaftliche Fakten unterhalten, beginnt er schon nach wenigen Sätzen wieder über schöne Bücher zu reden, über Mitglieder, die sich ihm gegenüber auf der Buchmesse stolz zur Büchergilde bekennen, über Kinder aus bildungsfernen Familien, die mit Hilfe des Büchergildevereins „Die Welt des Lesens“ die Faszination der Bücher entdecken. Vermutlich ist es dieser zähe Überlebenswille, das Buch auch als ästhetisches Erlebnis nicht aufzugeben, der am Ende die Büchergilde am Leben erhalten hat. Rund 100 000 Mitglieder hat sie heute, die Mehrheit erstaunlicherweise in einem Alter zwischen 35 und 50 Jahren. „Der Buchclub von Bertelsmann ist für uns keine Konkurrenz. In diesem Massenmarkt können wir nicht mithalten“, sagt Mario Früh. „Wir besetzen die Nische für Menschen, die einfach schöne Bücher lieben.“ Das ist eine kluge Strategie, findet auch Professor Stephan Füssel, der an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz Buchwissenschaften lehrt. „Mittelfristig könnte der Markt für gut gestaltete, inhaltlich überzeugende Bücher zu einem günstigen Preis sogar noch wachsen – trotz E-Books“, analysiert der Branchenexperte. Wie besonders dieses Publikum ist, zeigt ein Blick auf die Tops und Flops der Büchergilde. So erwies sich die posthum veröffentlichte Roman „Ein Mercedes im Sand“, eine traurig-schöne Exilgeschichte des aus Deutschland nach Israel ausgewanderten Juden Leon Levit, als großer Erfolg. Dan Browns lauwarmer Bestseller „Das verlorene Symbol“ mochte hingegen die Mitglieder nicht zu begeistern. Wenn schon Thriller und Krimi, dann greifen sie lieber zu John le Carré oder Donna Leon.

Was durchaus für guten Geschmack spricht. So ist aus dem ehemaligen Unternehmen der Arbeiterbildung eher eine Gemeinschaft für Bildungsbürger geworden, die Freude an edlen Layouts haben. Statt mit gewerkschaftlichen Vertrauensmännern in den Betrieben wirbt man heute mit Einlegern im Arte-Magazin. Die zwei Lektoren pflegen zwar weiterhin eine gewisse Vorliebe für sozialkritische Literatur. Ob aber die Hilfsarbeitertochter Hilla, die Heldin aus Ulla Hahns Roman, heute noch Büchergilde-Bände im Schrank ihrer proletarischen Freundin finden würde, darf bezweifelt werden. Positiv gesehen: da gäbe es noch Potenzial.