Ein junger Leser hat neulich in die Buchhandlung „Haus des Buches“ ein Kinderbuch zurückgebracht. Darin lag ein Zettel mit einer kurzen Rezension. Sie lautet wie folgt: „Dieses Buch ist gut, es ist aber auch schlecht.“ Johannes Sobtzick – Baskenmütze, tiefe Stimme und fränkischer Dialekt – hat die denkwürdige Niederschrift gelesen und sie zum Anlass genommen, das Konzept seiner Buchhandlung in Degerloch nochmals zu hinterfragen.
Alte schwäbische Buchhandlung
Es gibt viele Schriftsteller, die auf den ganz großen Durchbruch auf dem Buchmarkt noch warten. Vielleicht veröffentlichen sie ihre Bücher selbst oder sie arbeiten mit anderen unabhängigen Verlagen zusammen. Doch wer soll sie lesen, bis sie es in die Spiegel-Bestsellerliste geschafft haben? Der 43-jährige Buchhändler hat sich genau diese Frage gestellt, als er im September 2023 die alt eingesessene schwäbische Buchhandlung übernommen hat. Seine Idee, Autorinnen und Autoren zu helfen, verärgert jedoch immer wieder seine Mitarbeiter. Denn statt die seltenen Bücher von meist lokalen und regionalen Autoren direkt zu verkaufen und dringend benötigten Umsatz zu machen, gibt er stattdessen einigen Kunden unveröffentlichte Leseexemplare umsonst mit nach Hause. „Die können die Bücher dann lesen und mir eine Rezension schreiben. Wenn ich drei gute Rezensionen habe, dann weiß ich, es lohnt sich, das Buch anzuschaffen und zu verkaufen“, sagt Johannes Sobtzick.
Dafür nimmt er auch in Kauf, 16 Stunden am Tag zu arbeiten und sich auch nach Ladenschluss bis spät in die Nacht durch die Buchhaltung zu wühlen. „Letzte Nacht war es wieder spät“, sagt er umgeben von Stapeln von Büchern und leeren Red-Bull-Dosen auf seiner Verkaufsfläche. Er verschafft sich gerade einen Überblick über die Buchhaltung der Vorbesitzer. Vor einigen Jahren hat die Familie, die den Laden fast 150 Jahre geführt hat, an eine große Mediengruppe verkauft. „Das neue Unternehmen hat den Laden komplett runtergewirtschaftet“, sagt Johannes. Er musste daher noch mal bei Null anfangen.
Nach Wanderjahren in Degerloch hängengeblieben
Doch wie er es überhaupt zu der Buchhandlung in Degerloch geschafft hat, ist schon mehr als ungewöhnlich. Der in Bad Kissingen geborene Literaturliebhaber hat in den 90er-Jahren eine Ausbildung zum Buchhändler gemacht. „Damals war die Lage schon schlecht, obwohl es noch kein Amazon gab. Aber heute ist sie einfach nur beschissen“, sagt er. Danach habe er den Job aufgegeben und wollte stattdessen Lehrer werden. Nach der nervenaufreibenden Ausbildung, Referendariat und zwei Staatsexamen, hat er dann diesen Job auch wieder aufgegeben und einige Wanderjahre absolviert. „Ich bin von 2017 bis 2021 einfach durch das Land gereist und habe Stopp in irgendwelchen Buchhandlungen gemacht, bei denen ich dann gearbeitet habe“, sagt er. Manchmal hat er nur irgendwo auf der Couch geschlafen.
Bis es ihn dann nach Degerloch verschlagen hat. Hier fand der er die Buchhandlung Albert Müller in der Epplestraße 19 C. Mit seinem Ersparten und geliehenem Geld hat er die Buchhandlung gekauft und damit auch eine enorme Bürde auf sich genommen. Das Geschäft hat überdies eine bewegte Vorgeschichte. Über Generationen war es im Besitzer der Familie Scheppler. Im Stockwerk über der Buchhandlung gibt es eine Wohnung, die vollgestellt ist mit alten Büchern, Kartons und uralten Fotos, die auch die Geschichte des alten Gebäudes erzählen. „Neulich kam eine ältere Dame in den Laden und hat mir gesagt, dass sie hier beim Tanzen ihren Ehemann kennengelernt habe“, sagt Johannes. Denn neben einer Metzgerei gab es dort in der Epplestraße früher einen Tanzschuppen, in dem Rockmusik gespielt wurde. Und noch ein Stockwerk drüber befindet sich die Wohnung des Buchhändlers. „Da ich in dem Haus hier wohne, ist die Buchhandlung wie mein Wohnzimmer, in dem ich einfach Zeit verbringe. Deswegen kann man hier auch sonntags rein, auch wenn ich da nichts verkaufen darf“, sagt er.
Er wolle einen Ort schaffen, an dem Demokratie stattfinde, sagt Sobtzick. Das sei ihm die ganze Arbeit wert. In dem Geschäft hat er zudem seine Freundin kennengelernt, die auch dort arbeitet. Die Kunden würden das auch so widerspiegeln. „Wenn wir Inventur machen, kommen Ehrenamtliche vorbei, die uns bei der Arbeit helfen“, sagt er. Manchmal findet eine Lesung statt oder ein kleines Konzert einer lokalen Band. Aber all das soll nach und nach weiter wachsen. Johannes Sobtzick sucht nach Investoren, die sich beteiligen wollen. Vielleicht wird bald in dem Geschäft eine Art Begegnungsstätte entstehen. Doch erst mal müssen die Rechnungen und die sieben festen Mitarbeiter bezahlt werden.
Damit der Erfolg gelingt, müssen vielleicht auch die Rezensionen der Amateurkritiker entschiedener ausfallen. Nicht so wie die des Jungen, der sich nicht entscheiden konnte, ob das Buch gut oder schlecht ist. Doch die Kritiken werden immer besser. Wer weiß, vielleicht wird bald im Haus des Buches in Degerloch der nächste große Schriftsteller oder die nächste große Schriftstellerin entdeckt.