Christoph Greuter leitet die kleine, gleichnamige Buchhandelskette aus Singen, die seine Großeltern einst als Bücherstube in ihrem eigenen Wohnhaus gegründet haben. Der Familienbetrieb steht der übermächtigen Onlinekonkurrenz digital in nichts nach.

Singen - Sie sind also der Herr Greuter. Das ist ja nett, Sie mal persönlich kennenzulernen“, sagt die ältere Dame, die an diesem heißen Vormittag ein kühles Plätzchen in der Singener Fußgängerzone gefunden hat. Sie sitzt auf einem Hocker in der Buchhandlung Greuter und schnauft erst einmal tief durch, bevor sie sich ihrem Ziel, dem neuesten Werk des schwedischen Krimiautors Stefan Ahnhem, nähert. Da bietet sich Gelegenheit, mit dem Inhaber Christoph Greuter ins Gespräch zu kommen. Sie kaufe Bücher seit vielen Jahren in dem Laden und müsse ihm jetzt einmal ein Kompliment für seine freundlichen und kompetenten Mitarbeiterinnen machen: „Wissen Sie, ich möchte nicht im Internet nach etwas suchen, sondern lasse mich lieber persönlich beraten und mir Bücher von echten Menschen empfehlen“, sagt die Kundin.

 

Das Kompliment gibt der 48-Jährige gleich an seine Fachfrau für Belletristik weiter. Auf deren Namensschild steht der vollständige Name: Petra Morlock, nicht Frau Morlock oder P. Morlock. „Anonym ist Amazon, bei uns läuft das anders“, sagt Greuter im überzeugten Ton eines Buchladenmodernisierers, der den Wettbewerb mit der übermächtigen Konkurrenz aus dem Netz nicht scheut. „Wir können uns nur durch den direkten Kontakt mit unseren Kunden abheben, in dem wir den Menschen zuhören und uns für ihre Anliegen interessieren.“ Das gehe häufig weit über die Inhalte von Büchern hinaus: „Uns werden auch alle möglichen persönlichen Geschichten und Probleme erzählt“, sagt Greuter, der seine Mitarbeiter sensibilisiert, ein offenes Ohr für alle Belange der Kunden zu haben. „Sie sollen den Laden mit einem positiven Gefühl verlassen.“

Greuter hat die Website und die Hauptfiliale renoviert

Um den Größennachteil des kleinen Familienunternehmens auszugleichen – Greuter beschäftigt in insgesamt vier Geschäften im Bodenseeraum 45 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit sowie als Aushilfen –, hat der Inhaber die Buchhandlungen in den letzten Jahren in vielen Bereichen neu ausgerichtet. Das ist sowohl vor Ort im Singener Stammhaus als auch im Onlineshop zu besichtigen; beides wurde renoviert, beziehungsweise überarbeitet.

Am Bildschirm auf seinem Schreibtisch erläutert Greuter, wie sich sein Angebot im Netz verbessert hat: „Sie finden jetzt die komplette Palette für deutschsprachige Literatur auf unserer Website.“ Das Sortiment umfasse drei Millionen Produkte, davon rund 300 000 E-Books. Eine Bestellung funktioniere nicht anders als bei Nur-Online-Konkurrenten, und der Versand sei ebenso unkompliziert und kostenfrei. Bücher, die bisher ausschließlich über die Logistikpartner im Großhandel an die Greuter-Kunden versandt wurden, verschickt die Buchhandlung nun auch direkt. Es werde jeweils der Weg gewählt, der am schnellsten ist. Auch bei der Geschwindigkeit will Greuter den Wettbewerbern in nichts nachstehen.

Der Buchversand ist immer noch ein Zuschussgeschäft

Bis jetzt sei der Buchversand ein Zuschussgeschäft, verrät der Geschäftsführer. Vom Jahresumsatz der kleinen Buchhandelskette, der im einstelligen Millionenbereich liegt, mache das Onlinegeschäft nur gut zwei Prozent aus. Mittelfristig strebt Greuter damit einen zweistelligen Umsatzanteil an. Dafür investiert er in den Ausbau von Angebot und Infrastruktur. Dass noch kleinere Buchläden da nicht mithalten können, weil sie sich Investitionen im Digitalbereich, für die Nutzung von Datenbanken oder die Dienste von Großlieferanten kaum leisten können, ist Greuter bewusst. Es gebe noch viele Buchhandlungen, die gar keinen Onlineshop haben. Zumindest eine eigene Homepage als Visitenkarte im Netz hält er allerdings für unerlässlich.

„Wir selbst versuchen mit unseren Mitteln im Kleinen alles abzubilden, was technisch möglich ist“, sagt der selbstständige Unternehmer. Seine Kunden könnten sich den jeweils bequemsten Vertriebsweg aussuchen; vom stationären Laden über den Onlineshop bis zur Smartphone-App mit QR-Code. Dass alles auch mit Kundenkarte und Bonuspunkten kompatibel ist, versteht sich für Greuter von selbst: „Ich wüsste nichts, was große Einzelhändler bieten, das wir nicht haben.“

Digitale „Trends“ gibt’s bei Greuters seit den 90er Jahren

Was neudeutsch mit Click-and-Collect (Kaufen und abholen) bezeichnet und als Teil von sogenannten Multichannel-Konzepten gepriesen werde, sei bei den Singenern seit den Anfängen des eigenen Onlineshops in den neunziger Jahren üblich. Neben dem Chefbüro steht ein großes Holzregal voller Bücher und Hörbücher, die Kunden persönlich, telefonisch oder online bestellt haben. Bis zu 300 Artikel werden täglich in der Buchhandlung abgeholt. Möglich ist auch der umgekehrte Weg: So gebe es Kunden, vor allem älteren Jahrgangs, die ungern im Internet bestellen würden, weil sie ihre Kreditkarten- und Kontodaten nicht herausgeben wollen. „Die kommen dann in die Filiale, um ein Buch zu bestellen und zu bezahlen, das wir ihnen später nach Hause liefern“, erläutert der Inhaber.

Für die auf dem Postweg verschickten Sendungen ist Silvia Schuster zuständig. Die Mitarbeiterin führt gerade ein Krisengespräch am Telefon: Ein Kunde vermisst ein bestelltes Buch. Es sei zwar laut elektronischem Lieferschein herausgegangen, aber nicht angekommen, erklärt sie. Ein Fehler des Lieferanten? Der Poststreik? Christoph Greuter will der Sache zügig nachgehen; unzufriedene Kunden kann er sich gerade im Wachstumsbereich Versand nicht leisten. Derweil nimmt Silva Schuster am Telefon schon die nächste Bestellung entgegen: „Einen Tiptoi-Lesestift von Ravensburger für ihre Enkelkinder? Na klar. Senden wir ihnen gerne zu“, spricht sie ins Headset. Auch der Buchhandel muss sich nach neuen Einnahmequellen umschauen.

Mit Christoph Greuter ist die dritte Generation am Ruder

Greuter will immer genügend Personal auf seinen 300 bis 500 Quadratmeter großen Verkaufsflächen haben. Wenn er sich bei Konkurrenten umschaut, ist er oft entsetzt darüber, wie schwer es ist, einen Berater zu finden. Wenn es in Singen doch einmal knapp wird, nimmt er auch selbst Bestellungen auf oder berät Kunden. „Ich stelle mich auch an die Kasse und packe ein Buch als Geschenk ein, auch wenn ich dabei total langsam bin“, sagt Greuter. Dabei ist der Chef selbst gelernter Buchhändler. Nach seiner Lehre Ende der achtziger Jahre hat er Geschichte, Politik und Germanistik studiert.

Ins Familienunternehmen ist Greuter 1996 eingestiegen, zehn Jahre später hat er die Leitung übernommen. Die ersten Erinnerungen an die Buchhandlung reichen in seine Kindheit zurück, als die Buchführung noch im elterlichen Wohnhaus gemacht wurde. Die Großeltern Erich und Lydia hatten 1951 mit der Eröffnung einer Bücherstube im eigenen Wohnhaus den Grundstein für den Familienbetrieb gelegt. Die Eltern Hanni und Michael expandierten später in der Region; der Vater betreibt heute noch einen kleinen Regionalbuchverlag.

Digitalisierung im Buchmarkt macht Greuter nachdenklich

Dann führt Christoph Greuter den Besucher in die E-Book-Ecke. Auch hier werden die Kunden umfassend bedient und beraten; zum Beispiel darüber, dass auf dem Lesegerät des Marktführers nur Hörbücher von dessen eigener Plattform funktionieren. Daher empfiehlt Greuter seinen Kunden lieber Modelle anderer Hersteller. Die zunehmende Digitalisierung im Buchmarkt stimmt auch den innovativen Buchhändler etwas nachdenklich: „Ob es in zwanzig Jahren noch bedrucktes Papier gibt, kann ihnen heute niemand sagen. Wenn die Menschen dann gar keine Bücher mehr lesen sollten, könnten wir unsere Läden schließen.“

Das Lebenswerk seiner Großeltern und Eltern sieht er allerdings nicht akut bedroht. Die Läden in Singen, Tuttlingen, Rottweil und Radolfzell sind dort entweder selbst der Platzhirsch oder zumindest auf Augenhöhe mit diesem. Der stationäre Markt für Bücher sei weitgehend aufgeteilt, beruhigt zurücklehnen dürfe er sich deswegen aber nicht, meint Greuter. Über seine Nachfolge macht sich der Vater eines 18-jährigen Sohnes und einer 15-jährigen Tochter noch keine Gedanken. („Bis dahin ist noch viel Zeit.“) Doch eines weiß er jetzt schon: „Wenn ich eines Tages abtrete, möchte ich mich nicht darüber ärgern, zu spät ins Digitalgeschäft investiert zu haben. Lieber gehe ich das Risiko ein, dass es nicht funktioniert, als einfach weiterzumachen wie vor zwanzig Jahren.“