Nach 50 Jahren schließt die Rohrer Buchhandlung für immer. Es reicht nicht, das Sterben kleiner Buchläden zu beklagen, findet unser Kolumnist, wir müssen die verbleibenden Geschäfte auch mit dem Einkauf unterstützen!

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - „Du öffnest die Bücher, und sie öffnen dich.“ Diese schöne Erkenntnis des Schriftstellers Dschingis Aitmatov wird gern zitiert, wenn es um die Leidenschaft geht, die gedruckte Wörter wecken können. Noch immer gibt es Buchhändler, die ihren Beruf so sehr lieben, dass sie Selbstausbeutung in Kauf nehmen und wenig Freizeit. Doch irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem es nicht mehr weitergeht.

 

Hiltrud Singer hat diesen Punkt erreicht. An das Schaufenster ihres Ladens im Stuttgarter Stadtteil Rohr hat sie einen Zettel gehängt, um Passanten und Kunden etwas Wichtiges mitzuteilen. „Keinen einzigen Tag habe ich es bereut“, ist da zu lesen, „das Wagnis eingegangen zu sein“, diese Buchhandlung fortzuführen. Vor vier Jahren hatte sie das Erbe von Hannelore Hertfelder übernommen. Über vier Jahrzehnte lang war die Vorgängerin zu einer Institution in Rohr geworden, familiär mit vielen vertraut. Jäh endet die Tradition nun. Neben Bücher gab’s Schnellhefter, Bunt- und Bleistifte, Glückwunsch- und Trauerkarten im Sortiment. Aber auch dies hat nicht mehr geholfen.

Das letzte Kapitel lautet „Räumungsverkauf“

Hiltrud Singer sieht bei aller Traurigkeit auch das Schöne. Sie verweist auf besondere Erlebnisse als Buchhändlerin. Trotzdem müsse sie am 9. März ihren Traum aufgeben, hat sie auf den Zettel am Schaufenster geschrieben. Es sei „einfach nicht möglich, gegen die übermächtige Konkurrenz anzukommen, um rentabel zu arbeiten“. Das letzte Kapitel der Buchhandlung kennt kein Happy-End und lautet: Räumungsverkauf.

Wenn man früher schnell ein Geschenk brauchte, konnte man in der nahe gelegenen Buchhandlung immer was finden. Jetzt wird es die Flasche Wein, wenn nicht viel Zeit bleibt. Eine kleine Buchhandlung nach der anderen verschwindet.

Als Hiltrud Singer hörte, dass der Branchenriese Thalia nach Vaihingen kommt, nicht weit von ihr entfernt, wusste sie, dass sie ihre Hoffnungen endgültig begraben kann, es könne sich was drehen.

„Weltbild war keine so große Konkurrenz“, sagt Frau Singer. Weltbild hat die Schwabengalerie in Vaihingen verlassen – jetzt eröffnet Thalia dort eine weitere Filiale in Stuttgart. Der deutsche Marktführer hat sich bereits Wittwer, den Platzhirsch vom Schlossplatz, einverleibt. Wie will eine noch so engagierte Chefin einer kleinen Buchhandlung gegen die Ketten und Online-Riesen ankommen? Hiltrud Singer zieht sich aus der Welt der Bücher zurück. Sie hat eine Teilzeitstelle in der Schulkindbetreuung angenommen.

Es riecht so gut nach Büchern

Goliath besiegt viele Davids. Es reicht nicht, dass wir das Sterben kleiner Buchläden beklagen – wir müssen die verbleibenden Geschäfte auch mit dem Einkauf unterstützen! Online mag der einfachere Vertriebsweg zu sein, um eine Bestellung abzuwickeln. Viele Buchhandlungen indes haben eine Seele. Sozial und kulturell sind sie wichtig. Bei ihnen kann man stöbern, staunen, sich beraten lassen – und es riecht so gut in Büchern! Der Kauf im stationären Handel kann eine Überzeugung ausdrücken, ein Zeichen setzen, für ein Kulturgut was zu tun.

In Rohr, Dürrlewang, Oberaichen und Musberg, wo die meisten Kunden leben, sind nicht wenige geschockt, dass nach 50 Jahren die vertraute Schrift „Buchhandlung“ an der Fassade der Schönbuchstraße entfernt wird, an der täglich Tausende von Pendler vorbeifahren. Tragen wir nicht selbst die Schuld daran?

Lesen kann einen Weg ins Leben weisen, uns Wunder nahebringen und die Augen öffnen. Aber auch vor dem Lesen kann man nachdenken und kleine Buchläden unterstützen. Beim Lesen sollten wir also nicht nachlassen. Es tut uns gut!