Angelika Junge hat mit ihrer Buchhandlung „Lesezeichen“ das kulturelle Leben in Asperg bereichert. Nun schließt das Geschäft, das für viele mehr als nur ein Laden war. Zeit, auf besondere Momente, zurückzublicken.
Viele Kunden drängen sich in die Buchhandlung „Lesezeichen“ am Asperger Marktplatz. Am Schaufenster verkünden Aufkleber Preisnachlässe. In den Regalen stehen die Bücher nicht mehr Rücken an Rücken, sondern nur noch vereinzelt, mit den Covern nach vorne. An der Kasse hängt ein Schild: „Das letzte Kapitel – Wir sagen Danke“. An diesem heutigen Samstag schließt Angelika Junges Buchhandlung – nach mehr als 17 Jahren.
Eine Kundin kommt auf die Inhaberin zu und begrüßt sie herzlich. Im Arm trägt sie kleine Blumengeschenke für Junge und ihr Team. „Heute bin ich schon ein bisschen traurig“, sagt Angelika Junge leise zu ihr. Der Laden steht ab der kommenden Woche leer. Die Stadt suche weiterhin eine Nachfolge, eine bereits geplante habe sich leider zerschlagen, erzählt Angelika Junge.
In 17 Jahren gab es viele Glanzlichter
Die Geschichte des „Lesezeichens“ beginnt im Jahr 2006, als die Stadt Asperg den Marktplatz als „Neue Mitte“ erschließen will. Angelika Junge, Mutter von drei Kindern und als Buchhändlerin teilzeitbeschäftigt, interessiert sich für die entstehenden Ladenflächen, fragt bei der Stadt nach und bekommt zur Antwort, dass sich eine Buchhandlung wunderbar in den neu gestalten Komplex einfügen würde: Obendrüber die Stadtbibliothek und mit dem „Keltensaal“ im gleichen Gebäude einen Raum für Veranstaltungen. 2007 eröffnet Angelika Junge ihre Buchhandlung „Lesezeichen“.
Viele schönen Erinnerungen verbinden die 67-Jährige mit ihrem Buchladen. Vor allem die von ihr initiierten Veranstaltungen waren Glanzlichter in diesen 17 Jahren: Leseabende, Kindermärchen-Nachmittage, Weinverkostungen mit Lektüreempfehlung, Literatur-Menüs, Matineen und Autorenlesungen. Zweimal im Jahr stellte Angelika Junge gemeinsam mit ihrem Team in einem „Herbstgeflüster“ und einem „Frühlingsgezwitscher“ Neuerscheinungen vor.
Begeistert erzählt sie von einer Veranstaltungsreihe, in der professionelle Märchenerzähler Erwachsene in die Welt der Märchen entführten: „Das ist etwas ganz anderes als vorlesen“, sagt Angelika Junge. Begleitet wurden die Abende von Harfenspiel oder anderer musikalischer Umrahmung. Die letzte Veranstaltung fand im Oktober vergangenen Jahres statt: ein irischer Krimi-Abend. Gesundheitliche Probleme haben Angelika Junge in den vergangenen Monaten ausgebremst. Auch deswegen geht sie nun in den Ruhestand. Und lobt zum Abschied ausdrücklich ihr Team: drei festangestellte Mitarbeiterinnen, eine Raumpflegerin sowie eine Buchhändlerin, die schon im Ruhestand ist und immer als „Feuerwehr“ einsprang.
Ihre enge Verbindung zu den Kunden zeigte sich in einer Ausnahmesituation. Als sie die Buchhandlung im April 2020 wegen Corona schließen musste und verzweifelt überlegte, wie es weitergehen soll, begannen die Kunden noch am gleichen Tag bei ihr online zu bestellen. Täglich packte sie Bücherkisten und lieferten sie mit ihrem Team aus: „Ich habe noch nie so viel gearbeitet wie zu dieser Zeit“, erinnert sie sich und lacht. Für ihr herausragendes Engagement während der Coronazeit hat Angelika Junge die Ehrenurkunde der Stadt Asperg verliehen bekommen. Darüber freut sie sich heute noch und ist auch stolz.
Der Buchmarkt hat sich in den 17 Jahren in vielen Bereichen verändert. E-Books und elektronische Reader kamen auf, mit Podcasts und Hörbuch-Abos brach der Hörbuchmarkt ein, Lexika wurden mit Internetsuche und Wikipedia fast überflüssig. Wie reagiert man auf solche Umwälzungen? Man spezialisiert sich und wählt aus. Man pflegt seine Kunden. Aber die Veränderungen sind für eine kleine Buchhandlung dennoch nicht leicht zu tragen.
Jetzt bleibt mehr Zeit für die Enkel
Was sind Angelika Junges schönste Erinnerungen? Der menschliche Austausch, die Nähe zu ihren Kunden. Die vielen Geschichten. Die skurrilen und besonderen Menschen, die ihre Buchhandlung besucht haben. Und was sind ihre Lieblingsbücher? „Biografien, Belletristik, zur Entspannung Krimis – und ich sammle Kinderbücher“, sagt Junge – und berichtet von einer besonders schönen Begegnung mit Kirsten Boie.
Die Kinderbuchautorin war vor einiger Zeit in Ludwigsburg zu Gast. Und genau an diesem Tag kam ein syrischer Flüchtlingsjunge mit seiner Klasse zu einer Veranstaltung in die Angelika Junges Buchhandlung. Der Viertklässler blätterte in Kirsten Boies Buch „Bestimmt wird alles gut“, das sowohl in deutscher als auch arabischer Sprache geschrieben ist, und freute sich, dass er das Geschriebene in seiner Sprache lesen konnte. Angelika Junge vermittelte ein Treffen mit der Kinderbuchautorin, die ja zufällig am selben Abend in der Nähe war. Boie habe sich viel Zeit genommen und lange mit dem Kind gesprochen, sagt Junge: „Ich könnte heute noch heulen, wenn ich daran denke.“
Wie geht es jetzt für sie weiter? Worauf freut sie sich? „Auf spontane, kleinen Reisen zu Freunden, die nicht hier leben. Darauf, Zeit mit meinen beiden Enkelkindern zu verbringen und auf die kostbare Zeit, die ich mit meinem Partner habe.“