In den Berliner Anfangsjahren meistert der geniale Physiker persönliche Krisen und vollendet die Allgemeine Relativitätstheorie. Thomas de Padova berichtet in seiner neuen Biografie über Albert Einstein von Privatem und seiner Zeit während des Ersten Weltkriegs.

Stuttgart - In dem kleinen Buchladen am Bayerischen Platz in Berlin-Schöneberg hätte es ihm bestimmt gefallen. In der nahe gelegenen Wohnung hing er gerne den komplexen Gedanken nach, die ihn zum Weltstar machen sollten. Albert Einstein hätte sich bestimmt gerne noch in den überfüllten Raum gedrängt, seinen Geigenkasten abgestellt und an ein Bücherregal gelehnt der Lesung Thomas de Padovas gelauscht. Der Autor und Physiker beschreibt in seinem Buch „Allein gegen die Schwerkraft“ spannend und unterhaltsam die Berliner Jahre des überragenden Forschers während des Ersten Weltkriegs.

 

Im Frühjahr 1914 kommt Einstein in die hektische Metropole und schlüpft bei seiner Cousine und Geliebten Elsa Löwenthal in der Haberlandstraße Nr. 5 unter. Als Ehefrau Mileva ein paar Wochen später mit den beiden Söhnen aus Zürich folgt, zieht die Familie nach Dahlem in die Nähe des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie. Dessen Direktor Fritz Haber hatte den 35-jährigen Zürcher Professor nach Berlin gelockt, ihm eine Lebensstellung mit stattlichem Gehalt geboten und die Aussicht, sich ohne Lehrverpflichtungen allein seiner Relativitätstheorie und der Gravitation widmen zu können.

Der jüdische Schwabe aus Ulm hatte bereits 1905 als Mitarbeiter am Berner Patentamt die Teilchennatur des Lichts entdeckt und die spezielle Relativitätstheorie formuliert. Nun taucht er in das „Mekka der Forscher“ ein, wie sich ihm Berlin mit seinen Kaiser-Wilhelm-Instituten und der Akademie der Wissenschaften präsentiert. Einstein arbeitet fieberhaft und vollendet im November 1915 die komplexen Gleichungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie. Darin interpretiert er die Schwerkraft vollkommen neu, nicht länger wie in Newtons klassischer Physik als Anziehung zweier Massen, sondern als Krümmung von Raum und Zeit. Privat ist Einstein nicht so erfolgreich.

Die Ehe ist zerrüttet, Mileva fährt schon Ende Juli 1914 nach Zürich zurück, die Söhne nimmt sie mit. Beim Abschied heult Einstein „wie ein kleiner Junge“. Die widersprüchliche Persönlichkeit Einsteins, sein offenes und oft humorvolles Wesen einerseits, familiäres Versagen und komplizierte Beziehungen zu Frauen andererseits, arbeitet Padova einfühlsam heraus und unterlegt es mit vielen Zitaten. 1917 zieht Einstein wieder nach Schöneberg um, obwohl die Liebe zu seiner aus Hechingen stammenden Cousine inzwischen erloschen ist. Zwei Jahre später, nach der Scheidung von Mileva, wird Einstein Elsa heiraten, aber dennoch zeitlebens Geliebte haben.

Auch in der Politik beginnen schwierige Zeiten. Kurz nach Einsteins Ankunft in Berlin bricht der Erste Weltkrieg aus. Führende Wissenschaftler wie Fritz Haber oder Max Planck unterstützen die Kriegsziele mit chauvinistischen Manifesten. Der Chemiker Haber zieht gar den Militärrock an und stellt sein ganzes Institut in den Dienst des Krieges. Er wird Giftgas entwickeln und den tödlichen Einsatz perfektionieren. „In solcher Zeit sieht man, welch trauriger Viehgattung man angehört. Ich empfinde nur eine Mischung aus Mitleid und Abscheu“, schreibt Einstein an seinen Kollegen Paul Ehrenfest. Er unterzeichnet den pazifistischen „Aufruf an die Europäer“, der – so Padova – „die Idee des Völkerbundes vorwegnimmt“. Einstein wird auch Mitglied im antimilitaristischen „Bund Neues Vaterland“, der sich nach dem Krieg in „Deutsche Liga für Menschenrechte“ umbenennt. Als britische Forscher 1919 erstmals eine Vorhersage seiner Relativitätstheorie experimentell bestätigen, wird Einstein zum Weltstar, gekrönt mit dem Physik-Nobelpreis 1921. In Deutschland aber muss er immer stärkere antisemitische Anfeindungen erdulden. 1933 emigriert er in die USA, deutschen Boden wird er bis zu seinem Tod 1955 nicht mehr betreten.

Mit dem Schwerpunkt auf das Privatleben und das politische Engagement sticht Padovas Buch aus der Reihe bisheriger Biografien Einsteins hervor. Die wissenschaftlichen Fakten sind auch für Leser ohne große physikalische Vorkenntnisse anschaulich erklärt. Der 50-jährige Berliner Autor hat viele neue Quellen erschlossen. Sie werfen ein Schlaglicht auf das Dilemma eines begnadeten Forschers, der erkennen muss, wie sehr Wissenschaft und Technik an Krieg und Zerstörung mitwirken. Am Ende der Lesung kommt Einstein den Zuhörern in Schöneberg ganz nah, als seine Stimme mit leicht schwäbischem Akzent in der Aufzeichnung seines „Glaubensbekenntnisses“ von 1932 ertönt: „Ich bin leidenschaftlicher Pazifist und Antimilitarist, lehne jeden Nationalismus ab, auch wenn er sich nur als Patriotismus gebärdet.“

Buchtipp
Thomas de Padova: Allein gegen die Schwerkraft.Hanser Verlag, München 2015. 312 Seiten, 21,90 Euro.