Der bekannte Primatenforscher Frans de Waal belegt in seinem neuen Buch mit vielen Beispielen, dass auch Affen Altruismus und Gerechtigkeit kennen. Die Moral, argumentiert er, existierte schon vor dem Menschen und seinen Religionen.

Stuttgart - Der Mensch sonnt sich im Gefühl, als Krone der Schöpfung zur Weltherrschaft berufen zu sein. Deshalb löckt so mancher auch heute noch wider den Stachel, den Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie dem hochmögenden Homo sapiens einst versetzt hat. Die populäre, wenn auch durch Verkürzung schiefe Fassung von Darwins wegweisender Entdeckung lautet: der Mensch stammt vom Affen ab. Richtig daran ist, dass auch der Mensch Produkt einer Jahrmilliarden währenden Entwicklung ist, der sich das gesamte Leben vom primitivsten Einzeller bis zum hochentwickelten Säugetier verdankt. Seine eigene Geschichte umfasst gerade einmal sechs, sieben Millionen Jahre, wenn man die ganz frühen äffischen Vorfahren einbezieht, deren sich evolutionär verändernder Körperbau die Hinwendung zum aufrechten Gang ermöglichte. Und vergleicht man das Genom des Menschen mit dem heutiger Schimpansen oder Bonobos, seinen nächsten tierischen Verwandten, so zeigt sich, dass die Übereinstimmung bei weit über neunzig Prozent liegt.

 

Krone der Schöpfung? Die Erkenntnisse der Wissenschaft sollten Demut lehren. Nicht nur, dass sie den Stammbaum des Menschen mit all seinen Zweigen immer genauer nachzuzeichnen in der Lage ist; sie gewinnt auch fortgesetzt Einsichten in das Leben der Primaten, die von einer erstaunlichen Nähe künden. Der aus den Niederlanden stammende und in den USA arbeitende Biologe Frans de Waal legt jetzt in seinem neuen Buch dar, dass selbst das, was wir gemeinhin Moral nennen und dem Menschen zuschreiben (und ihn ja überhaupt nicht hindert, permanent dagegen zu verstoßen), keineswegs ausschließlich beim Homo sapiens anzutreffen ist, sondern eben auch in der höheren Tierwelt, insbesondere bei den Primaten.

Fürsorge, Empathie, Altruismus, Gerechtigkeitssinn – vieles von dem, was den „guten“ Menschen auszeichnet, hat sich laut de Waal in Experimenten, aber auch in freier Wildbahn bei Menschenaffen nachweisen lassen. Er spart in dem flott geschriebenen Band nicht mit konkreten Beispielen jenseits der gern in Zeitungen gelesenen, anrührenden Geschichten von anderen wilden Tieren, die sich so ganz und gar menschlich zu benehmen scheinen: etwa Delfine, die in Not geratene Schwimmer retten, oder Elefanten, die den Tod eines Artgenossen beweinen.

Auch unter Affen gilt: gleicher Lohn für gleiche Arbeit

De Waal erzählt so von einem Affenversuch, in dem die Tiere wählen konnten, ob eine Belohnung allein ihnen zufallen sollte oder auch einem Artgenossen. Kaum hatten die Probanden begriffen, was den Unterschied ausmachte, entschieden sie sich für die Lösung, von der beide Beteiligten profitierten. Oder auch von einem Experiment, bei dem es um die Alternative Gurken oder (viel beliebtere) Trauben als Lohn für die Mitarbeit ging: sowie der mit der Gurke bedachte Affe durchschaute, dass sein Gefährte für den gleichen Einsatz die begehrtere Frucht erhielt (was für ihn natürlich eine grobe Ungerechtigkeit war), verweigerte er sich schmollend dem Experiment.

Der Forscher beschreibt zugleich in dem ihm eigenen Plauderton, wie es Affenhorden gelingt, aufgebrachte oder verängstigte Gruppenmitglieder zu beruhigen, wie sie Ordnung herstellen und Stabilität zu gewährleisten versuchen. Sie streiten miteinander, tragen ihre Kämpfe aus, aber sie versöhnen sich auch, oft mit Hilfe von Schlichtern, die sich zwischen Raufbolde schieben. Gegenseitige Fellpflege oder Sex dienen dann zur Festigung des Zusammenhaltes.

Der Autor, der natürlich mit sehr viel mehr Beispielen aufwartet, führt „moralisches“ Verhalten darauf zurück, dass Säugetiere per Natur geradezu darauf angelegt sind: das Werden im Mutterleib und dann die Notwendigkeit der relativ langen Brutpflege begründeten fürsorgliches Handeln. Evolution und Selektion verstärkten, was keimhaft von Anfang an programmiert war.

Schon der Titel des Buches „Der Mensch, der Bonobo und die Zehn Gebote“ verrät, auf welche These es de Waal letztlich ankommt: Moral ist älter als Religion. Ihm geht es darum, der Moral jenseits von Religion und Philosophie einen Platz zuzuweisen, einen Platz, der nicht vom jeweiligen Zeitgeist abhängt und der nicht vom Glauben bestimmt wird, also auch in einer zunehmend religionsfernen Gesellschaft gesichert ist.

Ist Moral unauflöslich in der Entwicklungsgeschichte der Primaten verankert, wie de Waal in diesem Band zu zeigen versucht, dann gehört sie auch und gerade zur Natur der Spezies Mensch, unabhängig davon, wie sich der Einzelne (und ganze Gruppen in ihren Konkurrenzkämpfen miteinander) verhalten mögen. Und so zeigen von ihm zitierte neurowissenschaftliche Studien eben auch, dass „gutes“, dem Zusammenleben förderliches Verhalten von positiven Reflexen in den Tiefen des Gehirns begleitet wird.