Das Buchstäbchen im Stuttgarter Westen will die Lust am Lesen wecken – und das richtige Buch zur richtigen Zeit bieten.

S-West - Sie ist das wahrscheinlich berühmteste Insekt der Welt: Die kleine Raupe Nimmersatt. Sie verzückt seit 1969 Kinder- und Erwachsenenherzen gleichermaßen, gehört zu den größten und schönsten Bilderbuchklassikern überhaupt. Bis heute findet sich das Büchlein in über 30 Millionen Kinderzimmern, Kindergärten, Läden und Büchereien. Was nicht jeder weiß: Der US-amerikanische Autor und Zeichner Eric Carle, der sich diese wunderbare Geschichte ausgedacht und auf Papier verewigt hat, verbrachte einige Jahre seines Lebens in Stuttgart. Und zwar von 1935 bis 1952. Zwar ging er nicht im Stuttgarter Westen zur Schule, sondern besuchte das Leibniz-Gymnasium in Feuerbach; dennoch ist ihm der Westen nicht fremd.

 

Eric Carle einfach angeschrieben

Zu verdanken ist das Myriam Yvonne Kunz, die Ende vergangenen Jahres in der Senefelderstraße ihren Job als Innenarchitektin kündigte und ihre Literaturboutique Buchstäbchen eröffnete. Sie schrieb Carle eines Nachts einen Brief, nachdem sie eine Dokumentation über ihn gesehen hatte. Und erhielt einige Zeit später tatsächlich Antwort aus Amerika. Das signierte Bild ist in ihrem Laden zu sehen, fügt sich gut ein zwischen all den bunten Buchrücken und -covern. Und im Grunde macht Kunz ja nichts anderes als die weltberühmte Raupe: Sie lässt Kinderaugen größer werden und bringt selbst Erwachsene zum Staunen über ihre vielen Schätze. Es sind nämlich nicht einfach nur Bücher, die den schmucken kleinen Laden füllen. Es sind liebevoll gestaltete, aufwendig illustrierte und hochwertig eingebundene Tore in eine wunderbare Welt.

Nach Nimmerland, Narnia und Oz, mit dem Expresszug direkt nach Hogwarts, auf einem Besen zum Blocksberg, auf dem Rücken eines Pferdes durch den Wald und danach gleich weiter zum Mond: Obwohl der Buchladen alles andere als groß ist, gibt es eine Menge zu entdecken. Neuerscheinungen, Klassiker oder Geheimtipps für Kinder von null bis zwölf sowie für alle Erwachsene, die das Träumen nicht verlernt haben. Die gibt es ja glücklicherweise noch. „Bis heute kommen jeden Tag Menschen in den Laden, die noch nie hier waren“, sagt Kunz, „eigentlich wollen sie nur mal kurz stöbern, bleiben am Ende aber schon mal eineinhalb Stunden.“

Die Magie des Buches wirkt bis heute. Dabei gibt es nichts auch nur annähernd so Anachronistisches wie ein Buch. Gegen die vielen Jahrhunderte, die zwischen uns und der Erfindung des Buchdrucks liegen, ist ja selbst die Videokassette, die jeder mittlerweile als äußerst antiquiert einstufen dürfte, noch spektakulärer Hi-Tech. Für die Buchhändlerin steht dennoch fest: „Ein Kinderbuch ist nicht digital.“

Die Kunden lassen sich beraten

Die Kunden im Buchstäbchen sehen das genau so. Sie lassen sich beraten, vertrauen auf Empfehlungen, greifen hier im Westen gern zu den Klassikern oder zu Geheimtipps. Jene Bücher also, die keine ganzen Regalmeter bei den großen Buchgeschäften bekommen – und sie eigentlich verdient hätten. „Alle Bücher sind durch meinen Filter gelaufen“, sagt Kunz zu ihrem sorgfältig kuratierten Sortiment, mit dem sie im November auch für einige Zeit im Fluxus in der Calwer Passage zu Besuch sein wird. „Als Gestalterin achte ich natürlich sehr auf die Ästhetik, doch dahinter muss natürlich immer noch ein gutes Buch stecken.“ Schwerpunkte vermeidet sie, möchte im Laden und in ihrem neuen Online-Shop lieber ein möglichst breites Spektrum abbilden – und so die Lust am Lesen schüren. „Es gibt niemanden, der nicht gern liest“, ist sie sich sicher: „Alles, was es braucht, ist das richtige Buch zur richtigen Zeit.“