Buchtipp: T. C. Boyle, „Sprich mit mir“ Die Schöne und der Schimpanse

Wer könnte ihm widerstehen? T. C. Boyle erzählt von einer Affenliebe auf den ersten Blick. Foto: imago/VWPics

T. C. Boyle erzählt in seinem neuen Roman „Sprich mit mir“ von den gefährlichen Liebschaften zwischen Tier und Mensch. Sein Protagonist ist ein Affe, der gelernt hat, sich mitzuteilen, und zum Objekt der Wissenschaft wie der Begierde wird.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Der Affe ist in der Literatur ein alter Bekannter. Ganze Horden hangeln sich entlang der unscharfen Grenze, die Mensch und Tier voneinander scheidet, durch das Dickicht der Geschichte. Angefangen bei der Kreatur, die in E. T. A. Hoffmanns „Kreisleriana“ von einem Ästhetikprofessor Sprechen, Lesen und Schreiben gelehrt bekommt, bis zu Kafkas Rotpeter, der in seinem „Bericht für eine Akademie“ zu diesem Thema einiges zu sagen hätte. „Kein Tier ist so sehr Affe wie der Mensch“, heißt es bei Friedrich Nietzsche. Mit den Animal Studies beutet inzwischen ein eigener literaturwissenschaftlicher Forschungszweig aus, was dieses abgründige Bonmot umschließt: das spannungsreiche Verhältnis zum Anderen unserer Selbst.

 

Mit T. C. Boyles neuem Roman „Sprich mit mir“ bekommt diese Disziplin neue Nahrung. Denn im Mittelpunkt steht der niedliche Schimpanse Sam, der in einem psychologischen Langzeitexperiment den Beweis liefern soll, dass Affen in der Lage sind, über Sprache zu kommunizieren und ihre Gefühle auszudrücken. Der Wissenschaftler Guy hat ihn als Neugeborenen für ein Primatenforschungsprogramm überlassen bekommen und wie sein Kind aufgezogen. In einer Mischung aus Ruhmsucht und ökonomischem Aufmerksamkeitskalkül tritt er mit ihm in Fernsehshows auf. Wo ihn eines Tages die in sich gekehrte und orientierungslose Studentin Aimee erlebt, deren Dasein von diesem Moment an eine klare Richtung erhält: „Es war, als hätte sich eine Tür, die ihr Leben lang verschlossen gewesen war, mit einem Mal geöffnet.“

Mythos vom verlorenen Paradies

Aimee, deren Name – Geliebte – ihre Wirkung auf männliche Wesen aller Gattungen treffend beschreibt, wird zur Assistentin des Professors. Und was sich nun entspinnt, ist eine tierisch-menschliche Ménage-à-trois, in der die unterschiedlichsten Interessen gären. Zweckrationalität, Ehrgeiz, wilde Instinkte und bedingungslose Liebe treiben die Gemeinschaft erst über die Grenzen der Wissenschaften hinaus, dann in die Flucht und an den Rand der Gesellschaft.

Wie halten es Affen mit dem lieben Gott? Haben sie eine Seele? Was denken sie über Tod und Erlösung? Tatsache ist, dass sich die Affäre ab einem bestimmten Punkt in eine aufreibende Passionsgeschichte verwandelt. Nicht zum ersten Mal entfaltet Boyle die inhärenten Widersprüche wissenschaftlicher Versuchsanordnungen und gegenkultureller Utopien. Auch dem neuen Roman, der in den siebziger, achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts zwischen dem sommerlichen Kalifornien und dem winterlichen Kältepol der trostlosen Affenfarm eines dämonischen Forschers im nördlichen Iowa spielt, liegen reale Vorkommnisse zugrunde. Ähnliche Projekte gab es. Doch die andere Seite der Wirklichkeit ist der Mythos vom verlorenen Paradies und die Hoffnung, eine Einheit mit der Natur und ihren Geschöpfen im ewigen Jetzt wiedergewinnen zu können.

Auflösung der humanen Zentralperspektive

Während Aimee für ihre Umwelt immer weniger Interesse aufbringt, ist ihr gebärdensprachlich sozialisierter Gefährte fest davon überzeugt, Teil der menschlichen Gesellschaft zu sein. Umso unverständlicher, dass er sich irgendwann wieder unter seinesgleichen im Käfig wiederfindet.

Wo es um grundsätzliche Verständigungsfragen und unterschiedliche Daseinshorizonte geht, ist perspektivisches Erzählen das Mittel der Wahl. Boyle nutzt es geschickt, um die Ereignisse aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Die humane Zentralperspektive wird aufgelöst, und man taucht ein in den Bewusstseinsstrom eines Wesens, das sich entlang gelernter Ausdrücke zu erklären versucht, warum es aus der paradiesischen Gemeinschaft geliebter Menschen vertrieben werden soll. Welche entsetzliche Vorstellung, es oder er, Sam, könnte, nachdem die Psychologie das Interesse an ihm verloren hat, ein Fall für die biomedizinische Forschung werden.

Primaten und Automaten

Dabei ist der süße Schimpanse in Latzhose und T-Shirt, der mit Buntstiften Bilder malt und am liebsten Pizza isst, auch nur eine Rolle, die er berechnend spielt. Sam ist alles andere als ein Engel, sondern auch ein verwöhntes vormoralisches Muskelpaket, regiert vom Intellekt eines Vierjährigen und durchpulst von der bedrohlichen Kraft zweier Erwachsener. Und so mischt sich in diese Geschichte einer bedingungslosen Liebe, deren ersten Moment Aimee so intensiv erlebt, als würde man einen Finger in die Steckdose stecken, auch eine Prise Frankenstein. Menschliche Hybris hat Sam seinen natürlichen Lebensbedingungen entfremdet und zu einem Cola trinkenden Monster gemacht, das die Gewohnheiten eines durchschnittlichen Bewohners der gemäßigten Zonen zwischen Fernsehsofa und Fast-Food-Ecke äfft.

Es ist die Qualität von T. C. Boyles Romanen, dass sie häufig Experimente zum Gegenstand haben, aber selbst keine sind. Wenn seinen Figuren die Ausgeburten ihrer Ideale und Leidenschaften über den Kopf wachsen, schaut er ihnen nicht mit kalter Genugtuung, sondern Empathie und Anteilnahme zu. Bis zu diesem Roman hätte man das die menschliche Dimension seines Werks genannt. Jetzt muss man sich dafür vielleicht etwas anderes überlegen. Das liegt noch aus einem anderen Grund nahe. Denn „Sprich mit mir“ blickt nicht nur zurück in ein Kapitel aus dem Gruselkabinett der Wissenschaftsgeschichte. Die Fragen, die hier an Primaten gestellt werden, sind exakt die gleichen, die in Zeiten der Künstlichen Intelligenz von Automaten aufgeworfen werden. Und wie diese Sache für den größten Affen von allen ausgeht, ist noch offen.

Info

Autor Das große Lebensmotiv des 1948 in Peekskill in der Nähe von New York geborenen T. Coraghessan Boyle ist die Grenze zwischen Natur und Zivilisation, die sich durch sein mittlerweile knapp zwanzig Romane und doppelt so viele Kurzgeschichten umfassendes Werkmassiv zieht. Von den Utopien, Experimenten, Träumen und Schäumen der Gegenkultur aus nimmt Boyle in den Blick, was in der amerikanischen Gesellschaft fehlgeht: Gesundheitswahn, Immigration, Ökoterrorismus.

Leben Boyle stammt aus einfachen Verhältnissen, seine Eltern, beide Alkoholiker, starben früh. Er spritzte harte Drogen und hörte irgendwann damit auf, um fortan zu schreiben. In Kalifornien lebt er in einem Haus ebenjenes Architekten, dem er seinerseits ein literarisches Denkmal gesetzt hat, Frank Lloyd Wright. Dort wurde er zuletzt zweimal von schweren Naturkatastrophen heimgesucht.

Buch T. C. Boyle: Sprich mit mir. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser-Verlag, 352 Seiten, 25 Euro.

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