Buchtipp: Walle Sayer „Nichts, nur“ Vom Schutzzauber der Gedichte

Tiefe in der Begrenzung: Der Dichter Walle Sayer. Foto:  

Walle Sayer gewinnt dem Unscheinbaren ein sprachliches Bild der Welt ab und setzt die Schwerkraft der Zeit außer Kraft. In Stuttgart stellt er sein neues Buch „Nichts, nur“ vor.

Stuttgart - „Nichts, nur der Vollmond, der sich spiegelt, im ruhigen Wasser“ – so beginnt der erste Text im neuen Buch des Dichters Walle Sayer, und der Beginn dieses Satzes gibt dem Buch seinen Namen: „Nichts, nur“. Vorbei zu sehen am Nichts, auf das, was da doch noch ist, was oft übersehen wird, das Aufgelesene zu einem Bild zu fügen, einer Welt, gemacht aus Worten, verknüpft mit Gedanken, Erinnerungen, Beobachtungen – das könnte das Handwerk eines Dichters schlechthin sein, das Handwerk Walle Sayers ist es gewiss.

 

Walle Sayer lebt heute in Horb am Neckar; er wurde geboren in Bierlingen, einem Dorf, nur 13 Kilometer entfernt von dieser Stadt im Oberen Gäu, zwischen Tübingen, Rottweil, dem nördlichen Schwarzwald. Versatzstücke der eigenen Biografie, Beobachtungen des ländlichen Lebens, Alltäglichkeiten sind das Material, aus dem Sayer seine Texte formt, als lyrische Prosaminiaturen, selten nur in Zeilen gebrochen.

Der Geruch von Viehhändlern und Dorfhochzeiten

Im September 2020 feierte Walle Sayer seinen 60. Geburtstag; seinen ersten Gedichtband veröffentlichte er 1984. Vor zehn Jahren bereits erschien mit „Zusammenkunft“ ein Auswahlband seines Werkes. Anders als dieser ordnet „Nichts, nur“ seine Texte nun nicht in der zeitlichen Folge ihres Entstehens an, sondern zu thematisch assoziativen Blöcken – „Feineinstellung“ heißt der erste dieser Abschnitte, „Zeitungsausschnitte sammeln“ der letzte.

Gemeinsam mit Walle Sayer sucht der Leser Orte der Kindheit auf, geht vorbei an den Trikots, die die Mutter im Garten zum Trocknen aufhängte, geht noch einmal auf den Bolzplatz, kehrt zurück zu den Schlupfwinkeln, den Brennnesselhalden der „Vorvergangenheit“, sieht den Blindschleichen zu, die lautlos davongleiten. Eine Chronologie entsteht hier doch, wenn früheste Kindheitserinnerungen abgelöst werden von Szenen der Jugend und des Erwachsenenlebens, Blicken in die Historienbücher und ins Familienalbum, lyrischen Erkundungen der eigenen Geschichte und jener des Dorfes, des Landes, der Menschen. In der Wirtsstube, wo es noch nach „Viehhändlern und Dorfhochzeiten“ riechen muss, erzählt eine Stimme im Zigarrennebel von der Mutter, die immer müde war – so sehr, dass sie „einmal beim Gläserspülen, mit den Armen bis zum Ellbogen im Spülwasser, einfach im Stehen eingeschlafen war“.

Poetologisches Selbstporträt

Walle Sayers Gedichte finden Tiefe in der Begrenzung; immer wieder, und dies wird in der thematischen Anordnung der Texte besonders deutlich, kehrt er zu bestimmten Motiven zurück, betrachtet sie neu, schreibt auf, was der Mensch ein Leben lang mit sich herumträgt, und wie es sich wandelt. Zum Idyll werden seine Sprachbilder dabei niemals – stets ist da auch der Hauch des Vergänglichen, die Melancholie, jener „Halbton / zwischen bin und war“. Und nicht selten klingt eine leichte, überraschende Spur von Ironie mit: Wenn er die „Erinnerungen eines Leadsängers“ aufschreibt („Gitarrenriffs, an denen die Arbeitswoche zerschellte“) – oder wenn er beschreibt, wie er sich einst zur Musterung begeben musste („September 1980, in jenem dumpfen Gang des Kreiswehrersatzamtes Tübingen“), und die „Aura eines Gedichtes“ von Günter Bruno Fuchs ihn beschützte: „Wie alles zurückwich vor diesem Bannspruch.“

Die ältesten Texte in „Nichts, nur“ entstanden um 1987; zu den jüngsten gehören „Additiv“ und Walle Sayers „poetologisches Selbstportrait“, betitelt „An der mechanischen Schreibmaschine“. Beide waren, nebst 13 weiteren Stücken, bislang unveröffentlicht. Oft finden sich mehrere Gedichte auf einer Buchseite, wirken wie Bilder in einem Album. „Das Reizvolle an älteren und neueren Texten, wenn sie so nebeneinanderstehen, sich aneinander anlehnen“, dies merkt der Dichter selbst an, „ist ja, dass man das Gefühl hat, dass die Schwerkraft der Zeit ein wenig außer Kraft gesetzt ist.“

Info

Buch Walle Sayer: Nichts, nur. Edition Klöpfer im Alfred Kröner Verlag, Stuttgart. 240 Seiten. 28 Euro.

Termin Am Dienstag, 25. Mai, liest Walle Sayer im Schriftstellerhaus Stuttgart. Beginn der Veranstaltung ist 19.30 Uhr. Voranmeldungen unter 0711/233554

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