Suzanna Wycisk-Müller hat ein Buch über schlesische Persönlichkeiten veröffentlicht. Viele bekannte Schlesier haben das Geschehen ihrer Zeit stark beeinflusst, ihre Geschichten möchte die Autorin erzählen.
Stammheim - Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber, Jagdflieger Manfred von Richthofen, Tierfilmer Bernhard Grzimek, Dichter Joseph von Eichendorff, Theologe Dietrich Bonhoeffer – die Namen dieser Persönlichkeiten haben die meisten Menschen schon einmal gehört. Dass alle fünf aus Schlesien stammen, dürfte hingegen weit weniger bekannt sein. „Viele Leute wissen überhaupt nicht, wer alles aus Schlesien kommt“, sagt Suzanna Wycisk-Müller. Und die nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer Heimat Vertriebenen hätten großen Anteil an der Entwicklung in der Bundesrepublik gehabt. Mit ihrem vor kurzem erschienenen Buch „Schöpferisches Schlesien von A bis Z“ möchte die Stammheimerin einen Einblick in das Wirken dieser Persönlichkeiten geben. Knapp 100 Namen, darunter die von zwölf Nobelpreisträgern, finden sich in dem Nachschlagewerk.
Mit Breslau fühlt sie sich immer stark verbunden
Die Autorin selbst ist in Oberschlesien geboren worden. An der Universität Breslau hat sie Germanistik studiert. Während der Studienzeit arbeitete sie als Reiseleiterin im Riesengebirge, bevor sie 1967 nach Deutschland kam. Seit 2002 wohnt Suzanna Wycisk-Müller in Stammheim, davor lebte sie in Zuffenhausen. „Nach wie vor fühle ich mich sehr mit Breslau verbunden“, erzählt die Autorin, die als Übersetzerin arbeitet. Regelmäßig ist sie dort zu Besuch, für ihr Buch hat sie vor Ort viel recherchiert. Insgesamt drei Jahre dauerte es, bis das Werk fertig war. Besondere Mühe hat es gemacht, an Bilder zu kommen. Zum Glück konnten in einigen Fällen Nachkommen oder Archive weiterhelfen. Viele Fotos von Gräbern, Gedenkstätten oder Gebäuden hat Wycisk-Müller selbst geschossen. „Während der Recherchen habe ich eigene Wurzeln wieder ausgegraben“, erzählt sie.
Neben bekannten Persönlichkeiten finden sich auch Informationen zu vielen Menschen, die in Vergessenheit geraten sind. Wer kennt beispielsweise heute noch Johannes Dzierzon? 1811 in Lowkowitz geboren, wirkte er als Pfarrer, Berühmtheit erlangte er aber auf einem anderen Gebiet: Er war der wohl bekannteste Bienenzüchter der damaligen Zeit. Unter anderem erfand er den Bienenstock mit beweglichen Waben und stellte die Theorie der Parthenogenesis (Jungfrauengeburt) auf. Nicht weniger interessant ist die Geschichte von Franz Carl Achard, der Ende des 18. Jahrhunderts die Technik zur industriellen Herstellung von Zucker aus Rüben ersann, bankrott ging und schließlich verarmt starb.
Von Vertreibung und tragischen Schicksalen
Noch tragischer sind die Biografien von Schlesiern, deren Leben ein jähes Ende fanden. Dazu zählen beispielsweise Opfer des NS-Terrors. So wurden der Theologe Dietrich Bonhoeffer, der Rechtsanwalt Helmuth James Graf von Moltke und die katholische Nonne Edith Stein von den Nazis ermordet. Den Tod im Kampf hingegen fand der „Rote Baron“ Manfred von Richthofen, der im ersten Weltkrieg in seinem Fokker-Dreidecker abgeschossen wurde. Ebenfalls aufgrund ihrer Fliegerei bekannt wurde Hanna Reitsch, die mehr als 40 Flugrekorde aufstellte.
Eine Persönlichkeit, die Suzanna Wycisk-Müller besonders schätzt, ist Ruth Storm. Die 1905 in Kattowitz geborene Schriftstellerin musste nach dem Zweiten Weltkrieg ihr Zuhause verlassen und schrieb später Werke über Vertreibung, ihre schlesische Heimat und die Schicksale schlesischer Familien. „Ihr Lebenslauf hat mich stark bewegt“, sagt Wycisk-Müller. Mittlerweile arbeitet die Autorin bereits am zweiten Band. „Die Kulturleistung der Schlesier soll nicht in Vergessenheit geraten“, betont sie. Was ein überaus bekanntes deutsches Kulturgut angeht, dürfte dies für die kommenden Jahre kaum zu befürchten sein: Zwar ist August Heinrich Hoffmann von Fallersleben kein geborener Schlesier, 13 Jahre lang wirkte er aber an der Universität von Breslau. Im Jahr 1841 verfasste er auf Helgoland das Gedicht „Das Lied der Deutschen“, dessen dritte Strophe heute die Nationalhymne ist.